Konzerne üben scharfe Kritik

Zoff um das Europäische Patentamt: Wird die Prüfung zunehmend nachlässig?

Das Gebäude des Europäischen Patentamts in München.

Das Gebäude des Europäischen Patentamts in München.

München. Es ist eine Rekordbilanz, die das Europäische Patentamt (Epa) in München präsentiert. Exakt 193.460 Anmeldungen für Erfindungen sind 2022 dort eingegangen, ein Plus von 2,5 Prozent und damit so viele wie nie. Vor allem grüne Technologien würden angemeldet, sagt Antonio Campinos. „Der anhaltende Aufschwung auf diesem Gebiet trägt dazu bei, die Energiewende voranzubringen“, erklärt der Epa-Chef.

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Auf nationaler Ebene sticht China hervor mit gut 15 Prozent mehr auf 19.041 Anmeldungen, was das Land zur Patentmacht Nummer vier macht. Deutsche Erfinder, global auf Rang zwei hinter den USA, schwächeln dagegen statistisch gesehen mit fast 5 Prozent Rückgang auf 24.684 Schutzersuchen. Das könnte Besorgnis auslösen – oder man hat eine Sicht der Dinge wie Beat Weibel.

Er ist Patentchef von Siemens. Sein Konzern liegt in der Epa-Firmenstatistik des Vorjahrs mit 1.735 Anmeldungen weltweit auf Rang sechs und ist damit Deutschlands aktivster. „Es geht nicht darum, möglichst viele Patente anzumelden, sondern möglichst gute“, erklärt er seine Philosophie. Die des Epa sei eine andere. „Dort scheint alles darauf ausgerichtet zu sein, ein Patent schnell und so effizient wie möglich zu erteilen“, kritisiert Weibel.

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Initiative fordert mehr Qualität und Transparenz bei der Patentvergabe

Es ist keine isolierte Sicht. Vorigen Herbst wurde die Initiative Industry Patent Quality Charter (IPQC) gegründet, der neben den Münchnern 19 weitere Unterzeichner wie Bayer und Deutsche Telekom oder Nokia, Vodafone und Qualcomm angehören. Sie fordern vom Epa einen Kurswechsel mit Rückbesinnung auf Qualität und Transparenz bei Patentrecherche sowie -erteilung. Der geballten Industriekritik angeschlossen haben sich viele Patentanwälte, wie Blogeinträge belegen, sowie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). „Ausgezeichnete Initiative, sehr geschätzt“, lobt BDI-Chef Siegfried Russwurm die IPQC. Die Qualität von Patenten sei entscheidend für deren Wert und Rechtsbeständigkeit.

Die Epa-Kritiker sehen Belege für sinkende Prüfqualität im Amt. Von 2015 bis 2021 sei die Erteilungsrate für Patentanträge von 61,5 auf über 70 Prozent gestiegen, hat die IPQC mit Hilfe des BDI ermittelt. Es werden von Prüfern also immer mehr Patente erteilt als verworfen. Was parallel dazu wächst, ist die Widerrufsquote und zwar von 41 auf 46 Prozent. Wer ein erteiltes Epa-Patent anficht, hat immer öfter Erfolg, was vielfach Investitionen gefährdet, die auf diesen Patenten basieren.

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„Zusammen mit eigenen Erfahrungen erscheint das den IPQC-Mitgliedern ein gutes Indiz dafür zu sein, dass eine umfassende Prüfung von Patenten offenbar nicht mehr hinreichend möglich ist“, folgert Weibel und sieht das als Ausfluss einer Praxis, die betont auf Durchsatz setzt. Zu Erfahrungen, die Siemens selbst bei Patentschriften macht, passt es nicht. „Vor allem in der digitalen Welt wird es immer schwieriger, Erfindungen zu verstehen und zu patentieren“, sagt Weibel. Deshalb bräuchten konzerneigene Patentanwälte immer länger zur Ausarbeitung von Patenten, während Epa-Prüfer immer weniger Zeit hätten. „Eine Schere geht auf“, kritisiert der Manager.

Prüfer packt aus: „Es gibt Druck, dass wir immer mehr produzieren“

Ein Patentamtsprüfer bestätigt das. „Es gibt Druck, dass wir immer mehr produzieren, damit geht die Qualität runter“, sagt er und will anonym bleiben. Belegschaftskritik werde im Amt nicht gern gehört und bislang „komplett ignoriert“. 2015 habe er noch drei Tage Zeit gehabt, ein Patent zu prüfen. „Jetzt sind es weniger als zwei Tage“, verrät er. Ein Punktesystem, das für Aufstieg und damit bessere Bezahlung maßgeblich sei, fördere Patenterteilungen. Ablehnungen müsse man genau begründen und Betroffene zum Gespräch einladen. Das koste Zeit, in der man nicht prüfen und Punkte sammeln kann. „Wir müssen die Augen schließen und im Zweifel erteilen“, klagt der Patentprüfer.

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Im Februar haben sich Vertreter von Epa und IPQC erstmals getroffen um zu reden. Das Epa habe die Vorwürfe abgestritten, berichtet Weibel und glaubt zu wissen, warum das Amt auf immer mehr Patente in kürzerer Zeit setzt. Bis zu 10.000 Euro koste es einen Anmelder, bis eine Erfindung in ein Patent mündet. Mehr Patente lassen die Einnahmen des Amts steigen, was den 39 europäischen Staaten, die es tragen, finanziell zu Gute kommt.

Patentstatistik

In der Nationenwertung des Europäischen Patentamts führt bei Anmeldungen 2022 wie in Vorjahren die USA vor Deutschland, Japan und China. Aber die Trends sind sehr unterschiedlich. Erfinder aus den USA haben mit gut 48.000 3 Prozent mehr Patente angemeldet, ihre Kollegen aus Deutschland mit 24.684 fast 5 Prozent weniger. Bei japanischen Tüftlern stagnierte es bei gut 21.500 Anmeldungen. Den größten Zuwachs gab es aus China mit einem Plus von über 15 Prozent auf gut 19.000 Schutzrechtsersuchen. Unter den 25 größten Patentnationen war der Rückgang in Deutschland am stärksten. Auf Firmenebene ist Siemens mit im Vorjahr 1.735 Anmeldungen der innovativste deutsche Konzern vor BASF mit 1.401 Patentersuchen und Bosch mit 1.214. Im weltweiten Maßstab dominiert dagegen der umstrittene chinesische Konzern Huawei mit über 4.500 Patenanmeldungen, gefolgt von LG aus Südkorea und Qualcomm aus den USA. Weltweit gesehen liegt Siemens auf Rang sechs, BASF auf Rang acht und Bosch auf Rang elf. Die anmeldestärksten Technologiefelder sind digitale Kommunikation und Medizintechnik mit jeweils rund 16.000 Schutzersuchen.

„Aber es geht auch um Innovationen der europäischen Industrie“, findet Weibel. Das gelte besonders für das Europäische Einheitspatent, das im Juni in Kraft treten wird. Nicht das Maximieren von Einnahmen sollte dabei im Vordergrund stehen, mahnt der Siemens-Patentchef. Steuere das Epa nicht um, werde sein Konzern verstärkt bei nationalen Patentämter wie dem deutschen oder dem der USA anmelden. Die gingen auf eigene Bedürfnisse mehr ein. Dagegen bediente das Epa eher asiatische Konzerne, die auf Masse statt Klasse setzen.

Speziell Anmeldungen aus dem Patentboomland China wiesen keine erkennbar schlechtere Qualität auf als die westlicher Konzerne, entgegnet das Epa. Weniger Anmeldungen aus Deutschalnd seien dem Umstand geschuldet, dass typisch deutsche Erfinderdomänen wie Maschinenbau oder Verbrennertechnik allgemein keine Wachstumsbereiche mehr sind und deutsche Erfinder in hoch innovativen Bereichen wie digitaler Kommunikation nicht so viel bieten hätten. Zu den Vorwürfen des IPQC will sich das Epa vorerst nicht äußern und verweist auf laufende Gespräche. Im April oder Mai ist ein neues Treffen von Industrie und Amt geplant. Es könnte das Verhältnis von Amt und seinen westlichen Kunden neu definieren.


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