Hitze, Starkregen, Überflutung: Nehmen deutsche Städte den Klimawandel ernst genug?
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Hamburgs Innenstadt: viel Grau, viel Straße. Das muss sich flächendeckend ändern, fordern Klimaforschende.
© Quelle: dpa
Karsten Haustein ist enttäuscht. „Der gute Wille zu mehr Stadtgrün ist nur minimal zu erkennen“, sagt der Klimaforscher und deutet auf die Straßenmitte. Dröhnend laut rauscht der Verkehr an der Ampel vorbei. Der Steindamm war monatelang eine Baustelle. Schöner und einladender sollte er werden. Nun ziehen Autos, Busse, Lastwagen und Mopeds wieder durch dieses Wohnviertel von Hamburg – über eine frisch geteerte vierspurige Straße. An den Rändern konkurrieren Lieferwagen und Autos um Parkplätze, davor schlängeln sich Radfahrer auf einem kleinen für sie vorgesehenen Fahrstreifen entlang. Dahinter schieben sich Fußgänger an Obst- und Gemüseständen vorbei.
Gleichermaßen Platz für alle ist hier kaum – alles ähnlich wie früher. Nur in der Mitte zwischen den Fahrspuren, da verläuft jetzt der ganze Stolz der Umbaumaßnahme: ein kleiner Grünstreifen – mit frisch gewachsenen Grashalmen zwischen Zigarettenstummeln und jungen Laubbäumchen. Für Haustein „ein missglückter Versuch“, sich an den Klimawandel anzupassen. „Im Grunde sieht das jetzt genauso aus wie vorher.“
Der Autoverkehr hat Vorrang im Hamburger Stadtteil St. Georg.
© Quelle: Saskia Heinze/RND
Dabei wäre die Sanierung des Steindamms eine gute Gelegenheit gewesen, Hamburg ein bisschen fitter für die Erderwärmung zu machen, findet Haustein, der am Climate Service Center (Gerics) zu regionalen Auswirkungen des Klimawandels forscht. Zwei Fahrspuren hätten locker ausgereicht. Jetzt sei die Chance für mehr Fläche für Anwohner, breite Grünstreifen, bessere Luft und weniger Lärm für die nächsten 30 Jahre vertan.
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Der Klimawandel verändert Städte schon jetzt
Die Zeit drängt, die Folgen des Klimawandels werden immer spürbarer. Das gilt besonders für Menschen, die in Städten wohnen. Schon heute leiden Städte unter Hitzewellen, Trockenheit, Starkregen, Wassermangel, Sturmfluten und Überschwemmungen. Wird das 1,5-Grad-Ziel nicht erreicht, werden die Folgen noch deutlich dramatischer, vor allem gegen Mitte bis Ende des Jahrhunderts. Das betont der Weltklimarat in seinem in dieser Woche neu veröffentlichten Sachstandsbericht. Bisher genutzte Transport-, Wasser-, Sanitär-, und Energiesysteme funktionieren dann nur noch eingeschränkt. Besonders anfällig sind Orte, die an Küsten gelegen oder – wie im Süden – bereits jetzt hohen Temperaturen ausgesetzt sind.
Deutsche Städte sind davon nicht ausgenommen. „Die Zunahme von Extremwetter und Durchschnittstemperaturen betrifft alle Regionen“, sagt Andreas Vetter vom Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung des Umweltbundesamts. Unabhängig davon, wie stark sich die Erde bis 2100 erwärmt: Die Extremereignisse werden weiter zunehmen und intensiver ausfallen. Und: „Je ungebremster Treibhausgase in den kommenden Jahren noch in die Atmosphäre gelangen, umso schlimmer die Folgen“, warnt Vetter.
Hitze wird zum Problem – selbst im nordischen Hamburg
Was das für Hamburg bedeutet, ist klar: „Spätestens ab 2050 werden wir deutliche Änderungen in der Stadt sehen“, ist sich Klimaforscher Haustein sicher. Vor allem Hitzehotspots würden zum Problem für die Menschen. Selbst in der nordischen Metropole werde es deutlich mehr heiße und schwüle Tage und Trockenperioden mit Temperaturen deutlich über 30 Grad Celsius im Sommer geben. Vorbereitet sei man darauf nicht. „Die Stadt besteht aus sehr viel grauer Infrastruktur“, erklärt der Wissenschaftler. „Die Wärme wird dort stärker gespeichert als auf dem Land, nachts kühlt es dadurch weniger ab – die Temperatur kann über mehrere Tage hinweg sehr hoch bleiben.“
Und auch der Weltklimarat hält fest: Die Zahl der Todesfälle und Menschen, die durch Hitzestress gefährdet sind, steigt bei einer Erderwärmung um drei Grad im Vergleich zu 1,5 Grad auf das Zwei- bis Dreifache. So eine Dauerhitze wirkt sich auf den Alltag der Menschen aus. Viele leiden unter Kreislaufproblemen, haben vermehrt Allergien – vor allem Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen. Auch der Schlaf verschlechtert sich in überhitzten Innenräumen. „Ich würde dann nicht mehr in einer Altbau-Dachgeschosswohnung ohne Klimaanlage und Rolladen zum Verschatten leben wollen“, sagt Haustein. „Die Städte müssen sich vorbereiten.“
Aber tun sie das? Ist den Stadtplanern und Stadtplanerinnen das wirklich bewusst? Wieder ein Beispiel aus Hamburg: Unweit des Steindamms verläuft die Kurt-Schumacher-Allee. Auch sie ist eine dicht befahrene Mehrspurstraße, auch sie wurde kürzlich umgebaut. Und auch hier zeigt sich Haustein enttäuscht vom Ergebnis. Auf einem Seitenstreifen gibt es zwar nun statt Asphalt eine kleine Grasfläche, Fahrradständer, eine Bank zum Sitzen.
Aber auch hier wird vor allem deutlich: Der gute Wille allein reicht nicht. „Das ist einfach nicht zu Ende gedacht“, bemängelt Haustein.“ „Im Sommer will sich hier doch niemand bei so einem Verkehrslärm und ohne Schatten treffen.“ Für ihn ist das ein Zeichen dafür, dass in Hamburg der langfristige politische Wille fehlt, Innenstädte weitgehend autofrei zu gestalten. „In Paris, Kopenhagen oder London geht das doch auch, wieso dann nicht hier?“
Viel Beton und Altbauwohnung unterm Dach: Das ist Karsten Haustein zufolge nicht die Zukunft von Städten, die zunehmend mit Hitze zu kämpfen haben.
© Quelle: Saskia Heinze/RND
So viel Regen: Hält die Kanalisation das aus?
Neben Hitze und Verkehr sehen Klimaforschende weitere Probleme auf Hamburg zukommen. Zum Beispiel den Starkregen: Darauf, dass dieser zunimmt und intensiver wird, sind Hamburgs Häuser, Grundstücke, Straßen und die Entwässerung größtenteils nicht vorbereitet, sagt Peter Fröhle, Professor für Wasserbau an der Technischen Universität Hamburg. Der Hochwasserschutz an Küste und Elbe sei zwar bis minimum 2050 sicher. „Aber die kleineren Flüsse in Hamburg wie beispielsweise die Kollau, die Osterbek oder die Tarpenbek treten dann über die Ufer oder Starkregen flutet die Stadtviertel“, erklärt der Wissenschaftler.
Entwässerungssysteme sind damit überfordert und leiten das Wasser nicht mehr ab. Die Folge: überschwemmte Keller und Straßen. Zudem gibt es in Hamburg Viertel, in denen das Wasser noch vom Dach auf die Straße geleitet wird, nicht direkt in die Kanalisation. „Diese Infrastruktur hat sich historisch entwickelt, ist inzwischen aber längst veraltet“, erklärt Fröhle.
Man kann Strukturen in über Jahrhunderte gewachsenen Städten wie Bremen, Hamburg und Kiel nicht mit einem Fingerschnippen auf alle Bedrohungen durch den Klimawandel anpassen.
Peter Fröhle,
Experte für städtische Wassersysteme
Es gibt jedoch viele Ideen und auch erste Projekte, wie man Hamburg besser an den Klimawandel anpassen könnte. Flächen könnten gezielt wieder entsiegelt werden, damit Wasser besser versickern kann. Mehr Bäume, Fassaden- und Dachbegrünung könnte gepflanzt werden, wenn Autos wirklich weichen. Sie spenden Schatten, kühlen und halten Wasser zurück. Gut gedämmte Gebäude, in denen die Wärme im Winter gespeichert bleibt, helfen, dass im Sommer die Räume kühl bleiben. Sportplätze, Spielplätze und Parkplätze könnten so konzipiert werden, dass sie bei Starkregen kontrolliert geflutet werden – und während Hitzewellen ausreichend Schatten spenden.
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Das zeigt jedoch auch: Die eine große Maßnahme, die alle Folgen des Klimawandels auf einmal abpuffert, gibt es nicht. „Man kann Strukturen in über Jahrhunderte gewachsenen Städten wie Bremen, Hamburg und Kiel nicht mit einem Fingerschnippen auf alle Bedrohungen durch den Klimawandel anpassen“, erklärt Fröhle. „Das wird noch ein langer und herausfordernder Prozess, der eine Daueraufgabe bleibt und mit dem die Städte wahrscheinlich niemals ganz fertig sein werden.“
Städte haben Pläne – aber werden sie umgesetzt?
Die Überschwemmungen in der Region Ahr und Erft im Juli 2021 haben den Kommunen verdeutlicht, dass man sich dringend an den Klimawandel anpassen muss, berichtet Andreas Vetter, dessen Facheinheit das Umweltbundesministerium zu Anpassungsstrategien an den Klimawandel berät. Umfragen zeigen, dass inzwischen alle deutschen Großstädte mit über 500.000 Einwohnern Klimaanpassungskonzepte erstellt haben, bei Städten über 100.000 Einwohnern sind es rund zwei Drittel. „In den kleineren Städten und Gemeinden sieht das aber leider ganz anders aus“, sagt Vetter. Regional würden diese oft nicht systematisch erarbeitet, es fehlten finanzielle und personelle Ressourcen und fachliches Know-how.
Bund und Länder beraten und fördern erste Projekte. „Aber der Bedarf ist enorm“, sagt Vetter. „Da sind viele Städte noch am Anfang.“ Der Finanzierungsrahmen müsse noch auf breitere Beine gestellt werden. Das heißt also: Für einen flächendeckenden Umbau braucht es deutlich mehr Geld. Eine konkrete Summe, wie teuer durch den Klimawandel verursachte Schäden für Deutschlands Städte werden, gibt es nicht. „Was wir aber wissen: Es wird teurer, wenn man die Folgen zulässt, als wenn man sich jetzt mit Maßnahmen an die Bedingungen der Zukunft anpasst“, sagt Klimaforscherin Diana Rechid, die sich am Gerics mit lokalen Folgen der Erderwärmung beschäftigt. „Verkehrswende, erneuerbare Energien, Stadtumbau – all das zahlt sich bis spätestens 2050 deutlich aus.“
Städte sind also wandelbar, sie sind dem Klimawandel nicht ausgeliefert. „Deutschland muss das Thema ernster nehmen“, sagt Rechid. Denn nur, weil es ein Konzept gibt, heißt das nicht, dass es auch sinnvoll umgesetzt wird. In der Praxis würden beispielsweise noch Flächen bebaut, von denen man weiß, dass sich dort bei Starkregen besonders viel Wasser ansammelt. Dabei müsse der Klimagedanke überall berücksichtigt werden – in der Stadtplanung, in Gesetzentwürfen, bei Bauvorhaben und Sanierungen. „Das sollte eigentlich überall Vorschrift sein – aber die meisten Kommunen machen das bislang nicht“, kritisiert die Klimaforscherin.
„Wir wissen, was zu tun ist“, betont auch Haustein. „Wir müssen es nur richtig umsetzen und spätestens jetzt damit beginnen.“ Sonst wird der Klimawandel in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts in Hamburg und vielen weiteren Städten Schäden anrichten, die überhaupt nicht mehr zu kontrollieren sind. Halbherzige Maßnahmen reichen dafür nicht aus.