Ganz und gar mit der Rolle verschmolzen: Was macht Method-Acting mit der Psyche?
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Heath Ledger hatte sich zur Vorbereitung auf seine Rolle als Bösewicht Joker im Batman-Film „The Dark Knight“ (2008) wochenlang in die Isolation zurückgezogen.
© Quelle: imago images/Mary Evans
Viele Hollywoodstars tun alles, um eins mit ihren Rollen zu werden: Sie ändern ihr Aussehen und versuchen auch abseits des Sets, wie ihre Filmcharaktere zu leben. Die darstellerische Leistung scheint sich dadurch zu verbessern – aber was macht das mit der eigenen Psyche? Studien zeigen, dass die starke Identifikation mit einer Rolle die Hirnaktivität verändert.
Method-Acting geht auf Ideen des lange verstorbenen russischen Schauspiellehrers Konstantin Sergejewitsch Stanislawski zurück und wird unter anderem am Lee Strasberg Theatre & Film Institute in New York unterrichtet. Schauspieler und Schauspielerinnen sollen sich dabei intensiv mit dem fiktiven Charakter auseinandersetzen, den sie darstellen, und sich in ihn einfühlen. Gefördert werden soll das durch den Abruf persönlicher emotionaler Erinnerungen: Gefühle sollen nicht nur dargestellt, sondern im Moment der Performance tatsächlich selbst empfunden werden. Der als besonders wandelbarer Darsteller geltende Hollywoodschauspieler Gary Oldman denkt zum Beispiel nach eigenen Angaben immer an seinen Vater, wenn er vor der Kamera schmerzliche Emotionen darstellen soll. Oldman hatte unter der Abwesenheit seines Vaters gelitten – einem früh verstorbenen Alkoholiker, der Oldmans Mutter verließ, als der sieben Jahre alt war.
Einer der ersten Stars, die Method-Acting praktizierten, war Schauspiellegende Marlon Brando. Für seine Darstellung eines Psychopathen in der Broadway-Show „Truckline Cafe“ (1946) soll sich Brando stets einen Eimer voller Eiswasser über den Kopf gegossen haben und backstage Treppen hinauf- und heruntergerannt sein. Er wollte dadurch eine Szene besonders glaubwürdig darstellen, in der sein Charakter aus einem kalten See aufgetaucht war. Und ehe Brando einen verletzten Soldaten im Drama „Die Männer“ (1950) spielte, verbrachte er einen Monat in einer Klinik für Kriegsveteranen.
Rolle wird auch im echten Leben erprobt
Beispiele von Schauspielern und Schauspielerinnen, die ihre Rolle schon zur Vorbereitung und während der gesamten Dreharbeiten „leben“, gibt es etliche: So arbeitete Robert DeNiro selber als Taxifahrer, um sich auf seine Rolle im Kultfilm „Taxi Driver“ (1976) vorzubereiten. Und Hillary Swank, die für ihre Rolle als trans Mann in „Boys Don’t Cry“ (1999) mit dem Oscar prämiert wurde, soll schon einen Monat vor Drehbeginn ihr Aussehen so glaubhaft verändert haben, dass die Nachbarn dachten, ihr Bruder sei zu Besuch.
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Hilary Swank in „Boys Don’t Cry“.
© Quelle: imago/Cinema Publishers Collection
Als Forest Whitaker in „The Last King of Scotland“ (2006) den ugandischen Diktator Idi Amin spielen sollte, lernte er Suaheli, aß nur Bananen und Bohnen und soll die Rolle auch dann nicht abgelegt haben, wenn die Kamera aus war. Al Pacino, der in „Der Duft der Frauen“ (1992) einen Blinden verkörperte, gab auch in Drehpausen vor, nichts sehen zu können. Und Daniel Day-Lewis bestand während der Dreharbeiten zum Film in „For My Left Foot“ (1989), in welchem er einen Gelähmten spielte, darauf, von der Crew herumgetragen und gefüttert zu werden. Viele Method-Acting-Schauspieler und ‑Schauspielerinnen hatten mit besonders glaubwürdigen und preisgekrönten Darstellungen Erfolg. Die Mühen scheinen sich also zu lohnen. Aber was macht es mit dem eigenen Selbst, wenn man sich so stark in eine Rolle hineinbegibt?
Hirnströme veränderten sich
Das wollten Forschende der McMaster University in Ontario herausfinden. Sie haben dazu 15 im Method-Acting geschulte Schauspieler und Schauspielerinnen im Hirnscanner untersucht. Während die Hirnströme der Versuchsteilnehmenden aufgezeichnet wurden, sollten diese die Rolle von Julia oder Romeo in der berühmten Balkonszene aus dem Theaterstück von Shakespeare einnehmen. Die Teilnehmenden sollten aus ihrer Rolle heraus dann einige Fragen beantworten, wie zum Beispiel: „Würdest du es deinen Eltern erzählen, wenn du dich verliebst?“ (Eine Anspielung auf die verfeindeten Familien von Romeo und Julia im Theaterstück.)
In einer weiteren Sitzung sollten die Versuchsteilnehmenden ähnliche Fragen stellvertretend für eine Person aus ihrem Freundeskreis oder ihrer Verwandtschaft beantworten. Dabei sollten sie ebenfalls versuchen, die Perspektive der anderen Person einzunehmen, ohne sich aber vorher mit der Method-Acting-Technik in diese eingefühlt zu haben. Es zeigten sich deutliche Unterschiede bei der Hirnaktivität: Nur wenn die Schauspieler und Schauspielerinnen wirklich in ihrer Rolle waren, waren Regionen im Gehirn inaktiv, die für Gedanken über das eigene Ich zuständig sind. Die Forschenden nahmen daher an, dass durch das Schauspielern die eigene Identität in den Hintergrund trat.
Heath Ledger als trauriges Beispiel
Birgt das Extremschauspielern also vielleicht die Gefahr, sich in einer Rolle zu verlieren? Als trauriges Beispiel dafür gilt einigen der verstorbene Schauspieler Heath Ledger. Ledger hatte sich zur Vorbereitung auf seine Rolle als Bösewicht Joker im Batman-Film „The Dark Knight“ (2008) wochenlang in die Isolation zurückgezogen, wobei er versuchte, die Filmfigur zu durchdringen und sich ihr perfektionistisch anzunähern. Er führte in dieser Zeit ein verstörendes Tagebuch mit Zeichnungen, Comicausschnitten und Zitaten, die sich alle auf die Rolle beziehen und das auch als „Joker-Tagebuch“ bekannt wurde. Die Figur des Jokers schilderte Ledger selbst als psychopathischen und schizophrenen Massenmörder ohne jede Empathie. In Interviews gab er zu, dass die Rolle physisch und mental an ihm zehrte. Ledger soll während und nach den Dreharbeiten an extremen Schlafschwierigkeiten gelitten haben. Einige Monate nach der Filmpremiere verstarb er – an einer Überdosis Schlaftabletten. Ledger wurde nur 28 Jahre alt.
Method-Acting bei labiler Psyche riskant
War Ledger seine Identifikation mit dem Joker zum tödlichen Verhängnis geworden? Darüber lässt sich nur spekulieren. Fest steht aber: Bei einer labilen Psyche kann es riskant sein, sich intensiv in extreme Charaktere hineinzuversetzen. Petra Hornung-Frank ist selbst eine ausgebildete Schauspielerin und betreibt heute eine psychotherapeutische Praxis in Hamburg. Sie ist sich sicher, dass sich mit Method-Acting die Performance von Darstellern und Darstellerinnen verbessern lässt. Ein wirksames Element sei hierbei zum Beispiel das „sense memory“: Dabei werden über Gerüche oder Geräusche bewusst Erinnerung an selbst erlebte Gefühlszustände abgerufen, um dann aus diesem Zustand heraus eine Figur mit ähnlichen Emotionen zu spielen. Auch das Umfeld eines Filmcharakters in der echten Welt kennenzulernen, sei sicherlich sinnvoll. „Das gehört heute zu einer guten Vorbereitung dazu“, sagt Hornung-Frank.
Das Aussehen oder die Körperhaltung einer Figur im Alltag zu kopieren, könne ebenfalls näher an eine Rolle heranführen: „Denn unsere Haltung beeinflusst, wie wir uns fühlen. Wer zum Beispiel ständig eher geduckt läuft, kann dadurch tatsächlich in eine gedrückte Stimmung kommen, die er vielleicht mit seiner Rolle abrufen will.“
Es kommt auf die Persönlichkeit an
Method-Acting kann sich laut Hornung-Frank in einigen Fällen problematisch auswirken. Und zwar dann, wenn beim gezielten Abrufen eigener Emotionen an einem Trauma gerührt wird. „Das kann dann zu einer Retraumatisierung führen“, sagt Hornung-Frank. In anderen Situationen könnten hingegen selbst starke negative Emotionen, die beim Schauspielern hochkommen, im Nachhinein als heilsam erlebt werden. Und: Das Verschmelzen einer Rolle mit der Person des Schauspielers oder der Schauspielerin kann auch positive Gefühle auslösen: „Wenn zum Beispiel ein Filmcharakter positiv gestimmt ist und man sich der Rolle annähert, kann auch das auf die eigene Person abfärben“, sagt Hornung-Frank. Ebenso können emotional starke Filmhelden und ‑heldinnen den sie Darstellenden Kraft verleihen, wenn sie sich intensiv in die Rolle einfühlen.
Ob sich Method-Acting positiv oder negativ auswirkt, hänge immer auch von der Person ab. So erinnert sich auch Hornung-Frank selbst an eine Rolle, die ihr besonders naheging. „Die Frage ist aber immer, wie emotional stabil jemand ist“, sagt Hornung-Frank. So träten etwa eine narzisstische oder histrionische Persönlichkeitsstörungen bei Schauspielern gehäuft auf – vermutlich deshalb, weil diese Störungen mit einem erhöhten Aufmerksamkeitsbedürfnis einhergehen, das sich in dem Beruf ausleben lässt. Wenn jemand aber ohnehin emotional nicht stabil sei, sei es schwerer, die Identifikation mit einer Rolle nach dem Drehende wieder abzuschalten.
Zu Hornung-Frank in die Therapie kommen zum Teil auch Schauspieler und Schauspielerinnen, die unter psychischen Problemen leiden. Sie würde sich daher wünschen, dass die Risiken einer extremen Identifikation mit der Rolle auch an Schauspielschulen Thema sind. „Das Thema sollte in der Ausbildung behandelt werden und man sollte besser auf diese Gefahr vorbereitet werden.“