„Hitzewellen machen Gesunde groggy und Kranke kränker“: Wie der Klimawandel unsere Gesundheit gefährdet
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Die Kombination aus Überhitzung und Dehydrierung kann tödlich für Mensch und Natur sein.
© Quelle: Sebastian Gollnow/dpa
Katja Trippel studierte Geografie und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule. Die Wissenschaftsjournalistin und Henri-Nannen-Preisträgerin hat jetzt mit Prof. Claudia Treidl-Hoffmann, Direktorin am Institut für Umweltmedizin des Helmholtz Zentrums München, ein Buch über die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit veröffentlicht. Im RND-Interview erklärt Trippel, was sich dagegen unternehmen ließe.
Frau Trippel, der Klimawandel hat viele verschiedene Auswirkungen. Warum sollten wir uns in Deutschland besonders um Hitzewellen sorgen?
Katja Trippel: Kurz gesagt machen Hitzewellen gesunde Menschen groggy und kranke Menschen kränker, manche auch sterbenskrank. So richtig wahrgenommen hat man das, auch in der Forschung, erst nach dem Hitzesommer 2003. Damals war die Zahl der Toten riesig, allein in Frankreich sind während der Augusthitze 15.000 Menschen gestorben. In Deutschland waren es mehr als 7000 Menschen. Die wenigsten übrigens, weil sie eh sterbenskrank oder todgeweiht waren, sondern weil ihre Körper schlappgemacht haben.
Was passiert in so einem Fall im Körper?
Die Kombination aus Überhitzung und Dehydrierung kann tödlich sein, besonders für Menschen, die sowieso schon anfällig sind. Das gilt insbesondere für Kinder und Ältere, bei denen die Thermoregulierung noch nicht beziehungsweise nicht mehr richtig funktioniert. Wenn sie sich dann der Hitze aussetzen und nicht genügend trinken, dann wärmt sich der Körper immer weiter auf. Irgendwann kommt es dann zum Kollaps.
Das klingt, als sei Hitze vor allem ein Problem für sehr junge oder sehr alte Menschen.
Nein, das stimmt so nicht. Ich glaube, jeder kennt seinen eigenen Toleranzwert, ab dem bei ihr oder ihm die Konzentration schwindet. Wenn der Körper mit Runterkühlen beschäftigt ist, kann er diese Energie nicht mehr ins Hirn oder auch in die Muskeln schieben. Das bedeutet, die Leistungsfähigkeit nimmt rapide ab. Die große Mehrheit gesunder Menschen kann auch nachts bei Hitze nicht gut schlafen und ist am nächsten Tag noch weniger fit. Dazu kommen Kopfschmerzen oder vielleicht sogar Schwindel.
Bei Menschen mit Vorerkrankungen kann Hitze die Symptome zum Teil extrem verschlimmern. Früher dachte man, davon sind vor allem Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen betroffen. Aber inzwischen weiß man, dass das für Menschen mit Atemwegserkrankungen wie Asthma sogar noch viel dramatischer ist. Gerade in den Städten, die sich im Hochsommer bis zu zehn Grad mehr aufheizen können als die Umgebung, entsteht ein toxischer Mix aus Hitze und schlechter Luft – die Menschen kriegen einfach keine Luft mehr.
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Katja Trippel studierte Geografie und besuchte die Henri-Nannen-Journalistenschule. Nach über zehn Jahren als „GEO“-Redakteurin schreibt sie inzwischen als freie Wissenschaftsjournalistin u. a. für die „GEO“-Familie, für „mare“, „SZ“ und „riffreporter.de“. Ein Report zur Überfischung der Weltmeere, den sie mitverfasste, wurde 2008 mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet.
© Quelle: Micha Pawlitzki
Sind denn alle gesundheitlichen Auswirkungen der Hitze schon erforscht?
Nein, oft steht die Forschung noch ganz am Anfang. Man weiß zum Beispiel, dass sich Schizophrenie verstärkt oder dass sich die Insulinproduktion bei Hitze umstellt, was bei Diabetes relevant ist. Auch hat man beobachtet, dass es während Hitzewellen häufiger zu Frühgeburten kommt. Man weiß aber nicht genau, warum das so ist. Ein anderer Aspekt ist: Auch Medikamente müssen bei 30 bis 40 Grad anders gelagert und dosiert werden. Das klingt banal, kann aber zum Beispiel bei Bluthochdruck gravierende Folgen haben. In Deutschland ist das vielen Menschen nicht bewusst, auch vielen Ärzten und Ärztinnen und Apothekern und Apothekerinnen nicht.
Werden die durch Hitzewellen verursachten gesundheitlichen Probleme in Deutschland denn nicht erkannt?
Bei Hitzetoten spricht man auch von stillen Toten, weil sie nicht auffallen. Ärzte und Ärztinnen erkennen oft die Todesursache nicht richtig. Zudem werden die Hitzetoten nicht in allen Bundesländern erfasst. Außer für Hessen und Berlin muss das Robert Koch-Institut diese Zahlen daher schätzen. Man weiß also gar nicht, wenn eine Katastrophe hereinbricht, dass sie da ist. Gleichzeitig hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung schon 2013 gesagt, dass sich die Zahl der Hitzewellen bis 2050 vervierfachen wird, wenn es nicht gelingt, die Emissionen zu reduzieren. Das ist nicht passiert. Man kann sich also vorstellen, was auf uns zukommt.
Was muss also geschehen?
Wir brauchen Hitzenotfallpläne. In Frankreich ist es so, dass die Wetterdienste im direkten Kontakt mit den Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen, den Rathäusern und Regionalverwaltungen stehen. Wenn eine Hitzewelle droht, werden sie vorgewarnt und müssen vorbereitet sein. Die Krankenhäuser bereiten dann beispielsweise Betten und Infusionen für Dehydrierte vor. Die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen der Städte sind verpflichtet, ihren Bewohnern und Bewohnerinnen das Angebot zu machen, sich auf Listen einzutragen, die dann im Fall einer Hitzewelle regelmäßig abtelefoniert werden: Wenn dann jemand sagt: „Mir ist ein bisschen schwummrig“ – dann kommt jemand vorbei und bringt die betroffene Person an einen kühleren Ort.
Warum gibt es solche Notfallpläne in Deutschland nicht?
Das haben meine Co-Autorin und ich uns auch gefragt. Deutschland nimmt sehr viel Geld etwa für den Hochwasserschutz in die Hand, es werden Deiche und Dämme gebaut. Aber ein Hitzenotfallplan, der vor allem ja eine Kommunikationsmaßnahme wäre, der kommt nicht in Gang. Das liegt daran, dass die Behörden ein Verantwortungs-Pingpong spielen. Das Umweltministerium hat Pläne entwickelt, seither liegen sie in den Schubladen herum. Das Gesundheitsministerium fühlt sich für die Umsetzung nicht zuständig, der Katastrophenschutz auch nicht. Dazu kommt dann noch das föderale System, in dem jedes Bundesland seinen eigenen Gesundheitszustand regelt. Welche Folgen das hat, haben wir ja jetzt bei Corona gesehen. Bislang wurden nur einige Kommunen aktiv, um ihre Bevölkerung zu schützen. Das ist vorbildlich.
Was kann man tun, damit Hitzewellen weniger extrem ausfallen?
Die wichtigste Maßnahme ist natürlich der Klimaschutz. Die Treibhausgasemissionen müssen so schnell und so massiv wie möglich gesenkt werden. Uns muss klar sein: Wir sägen hier am eigenen Ast. Es geht nicht nur um die Erde und das Klima, es geht um unsere eigene Gesundheit.
Ansonsten ist eine ganz einfache Maßnahme, Grün zu pflanzen, wo immer es geht. Jeder große Baum funktioniert wie eine natürliche Klimaanlage, Gleiches gilt für Dachbegrünung. Ein Hinterhof mit Fassadenbegrünung ist drei bis fünf Grad kühler. Dabei ist es auch wichtig, Regenwasser, das etwa bei Starkregen fällt, zu sammeln und nicht in die Kanalisation ablaufen zu lassen – für Trockenzeiten. Denn die nehmen ja auch zu!
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Claudia Traidl-Hoffmann, Katja Trippel: „Überhitzt: Die Folgen des Klimawandels für unsere Gesundheit. Was wir tun können“, Dudenverlag, 304 Seiten, ISBN: 3411756667, 20 Euro
© Quelle: Dudenverlag
Kann es nicht auch ein Fehler sein, den Klimawandel gedanklich zu sehr mit Hitze zu verbinden? Dieses Jahr war es ja bislang noch nicht wirklich heiß, der Klimawandel schreitet trotzdem weiter voran.
Natürlich begleitet uns die Erwärmung das ganze Jahr hindurch. Das sieht man zum Beispiel auch an den Allergien: Die Phasen, in denen die Pollen fliegen, beginnen inzwischen sehr viel früher. Wenn der Winter mild war, kann es schon im Januar mit Frühblühern wie Birke oder Haselnuss losgehen. Normalerweise war dann spätestens Anfang September Schluss mit Gräsern und Beifuß. Inzwischen aber hat sich in einigen Regionen auch die Ambrosia, die aus den USA kam, rasant vermehrt. Und die blüht weiter, wenn der Herbst mild ist, und verbreitet ihre aggressiven Pollen. Wenn sich der Klimawandel weiter so entwickelt, werden uns Pollen noch sehr viel mehr Sorgen bereiten.
Das gilt wahrscheinlich auch für andere fremde Arten wie Mücken?
Ein Beispiel, das sehr bekannt ist, ist die asiatische Tigermücke, die sich am Oberrhein bereits breitgemacht hat. Sie kann Krankheiten wie zum Beispiel Denguefieber oder auch Zika übertragen, wenn die Temperaturen hoch genug sind. Es ist bisher noch kein Fall in Deutschland bekannt, wo das passiert wäre, aber das liegt auch daran, dass sie massiv bekämpft wird. Viel problematischer ist derzeit die heimische Stechmücke, bei der inzwischen klar ist, dass sie das West-Nil-Virus von Zugvögeln auf Menschen übertragen kann. 2019 passierte das zum ersten Mal in Sachsen, 2020 dann gleich in mehreren Regionen. Und je mehr heiße Tage es gibt, desto wahrscheinlicher ist das. Noch sind die Zahlen gering, doch Experten sagen ganz klar: Wenn so ein Virus erst einmal in einer Stadt ist, kann sich das relativ zügig zu einer Epidemie ausweiten.