Coronavirus - der weltweite Wettlauf zum Impfstoff

Virologe Sandro Halbe betrachtet in einem Forschungslabor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg auf einem Computermonitor die Elektronenmikroskopaufnahme eines MERS-Coronavirus, einem engen Verwandten des neuartigen Coronavirus. Das Coronavirus beschäftigt auch hessische Wissenschaftler. Die Virologen der Uni Marburg sind an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen den Lungen-Erreger beteiligt.

Virologe Sandro Halbe betrachtet in einem Forschungslabor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg auf einem Computermonitor die Elektronenmikroskopaufnahme eines MERS-Coronavirus, einem engen Verwandten des neuartigen Coronavirus. Das Coronavirus beschäftigt auch hessische Wissenschaftler. Die Virologen der Uni Marburg sind an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen den Lungen-Erreger beteiligt.

Marburg. Es ist einer dieser Tage, an denen sein Gegner kaum aufhaltbar zu sein scheint, trickreich, ein wenig rätselhaft und ausdauernd zugleich. Messe um Messe wird abgesagt, Italien hat ganze Regionen abgeriegelt, immer mehr Menschen kommen in Quarantäne, und doch breitet sich SARS-CoV-2, so der Name des Gegners aus, immer weiter aus. Weltweit strebt die Zahl der Fälle auf die 100.000 zu, auf der Landkarte der Ausbrüche wird Europa ein immer größerer roter Fleck, und auch in Deutschland gibt es immer mehr Fälle.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Und an so einem Tag steht der 59-jährige Stephan Becker im weißen Kittel in seinem Labor Marburg, auf einer Anhöhe am Rand der Stadt, und wappnet sich gegen die Erwartungen. Er weiß ja, was passieren würde, wenn all die Absagen, Schließungen und das nahende Frühjahr das Virus nicht stoppen können, wenn es sich doch immer weiter ausbreitet und der Druck immer größer würde. Dann würden noch mehr Leute zu ihm und seinen Kollegen kommen und fragen, ob das nicht ausnahmsweise schon ein wenig schneller gehen könnte mit den Mitteln. Aber dann wird er hart bleiben müssen.

„Das ist die Gefahr“, sagt Becker, „dass man die Sicherheit bei einer Impfung nicht an die erste Stelle stellt.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Professor Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg

Professor Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg

Die Forscher müssen beruhigen - und zugleich alarmieren

Das ist das Dilemma, in dem Wissenschaftler wie er seit dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus stecken: Sie müssen und wollen die Menschen beruhigen, weil die Wahrscheinlichkeit zu erkranken auch hierzulande nach wie vor klein ist und Panik ohnehin niemandem hilft. Aber zugleich müssen sie auch Politik und Gesellschaft alarmieren, damit sie alles oder vieles tun, um den Weg dieses Virus zumindest zu verlangsamen. Und dann müssen sie noch versuchen, Gegenmittel zu entwickeln: Impfstoffe.

Bei diesem letzten Punkt ist Marburg in Deutschland ein zentraler Ort. Hier, auf der Anhöhe, steht das Hochsicherheitslabor der Philipps-Universität Marburg: Ein quadratischer, etwa drei Stock hoher Bau mit wenigen verspiegelten Fenstern und einer rötlichen Außenhaut, das mit gelben stäbchenartigen Wesen bemalt ist: Abbildungen jenes Virus, das in den Sechzigerjahren plötzlich in der hessischen Universitätsstadt auftauchte, 30 Menschen tötete und dann als Marburgvirus in die Medizingeschichte einging. Die Reaktion darauf war die Gründung des Instituts für Virologie - dessen Direktor Professor Stephan Becker seit 2007 ist. Er und sein Team erforschen hier die Viren der Welt, die gefährlichen wie die weniger gefährlichen - und seit dem 10. Januar geht es hier nun um das neue Coronavirus. An jenem Tag veröffentlichte die Fudan-Universität in Shanghai die Gensequenz des neuen Erregers. “Diese Offenheit war ein großer Fortschritt für uns”, sagt Becker.

Erfolgsmeldung in Camouflage-Uniform

Vor allem war sie der Startschuss für einen gewaltigen weltweiten Wettlauf: In den USA, China, Israel und Europa suchen Biotech-Unternehmen und Forschungseinrichtungen nun mit Hochdruck nach einem Impfstoff. In dieser Woche gab es sogar die ersten Meldungen über angebliche Erfolge: In den USA erklärte Gesundheitsminister Alex Azar, es gebe bereits grünes Licht für erste klinische Tests. In China ließ sich die führende Biochemie-Expertin des Landes, die 54-jährige Chen Wei, in Camouflage-Uniform dabei fotografieren, wie sie eine Spritze in den Oberarm erhielt: angeblich der erste Test eines Impfstoffs gegen das SARS-CoV-2 im Land.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Aber ist das wirklich schon der Durchbruch - oder doch Propaganda? Und welcher Weg verspricht den schnellsten Erfolg?

Vorarbeiten am MERS-Virus

Die deutschen Forscher um Stephan Becker und seinen Kollegen Professor Gerd Sutter von der Ludwig-Maximilians-Universität München setzen bei der Entwicklung eines Impfstoffs auf eine Art Huckepack-Lösung, das sogenannte Vektormodell: Als Träger dient ein abgeschwächtes, nicht krank machendes Pockenvirus, in das Merkmale des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 eingesetzt werden. Dieses neue Impfvirus dringt dann in die Zellen ein - und provoziert eine Immunreaktion des Körpers, der dann über Antikörper und Abwehrzellen gegen das neue Coronavirus verfügt und gegen die Krankheit geschützt ist.

Forschungslabor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg.

Forschungslabor des Instituts für Virologie der Philipps-Universität Marburg.

Der Vorteil des Verfahrens: Über den Träger, die Grundlage also, verfügen die Wissenschaftler dank ihrer Forschung am MERS-Coronavirus, das sich 2012 von der arabischen Halbinsel aus verbreitete, bereits. “Wir haben durch das MERS-Corona-Verfahren bereits die gesamte Palette des Konstruktionsverfahren zur Verfügung”, sagt Sutter, der dieses sogenannte Vektorvirus, den Träger, maßgeblich entwickelt hat. In Marburg hatte Stephan Becker bereits eine Impfung gegen das SARS-Virus entwickelt, das 2004 grassierte. Zusammen haben Sutter und Becker in den vergangenen Jahren zudem eine Impfung gegen das MERS-Coronavirus gefunden, die derzeit im Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg in einer ersten Phase an Menschen getestet wird.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der nächste Schritt: Tierversuche

Bei MERS hat die Suche nach einem Impfstoff bis hierhin vier Jahre gedauert. Beim neuen Coronavirus könnte es jetzt wesentlich schneller gehen. “Wir haben die synthetische DNA bereits in unseren Träger eingebaut und untersuchen das Impfvirus in Zellen”, sagt Sutter. Das heißt: Bereits jetzt testen Wissenschaftler im Hochsicherheitslabor in Marburg, wie die Impfung am SARS-CoV-2 Virus geprüft werden kann. Danach müssten dann Tierversuche zeigen, ob die gewünschte Immunreaktion und genügend Antikörper gebildet werden. “Bereits in wenigen Monaten könnten wir dann einen experimentellen Wirkstoff haben, mit dem wir rasch in die klinische Prüfung kommen können", erklärt Sutter. Wenn alles, so Sutter, “superideal läuft”, dann könne die klinische Phase in einem Jahr beginnen.

Für die Forschung wäre das extrem schnell. Aber wäre es auch schnell genug, um dem Virus seine Bedrohlichkeit zu nehmen - und den Impfstoff zumindest in Deutschland an alle zu verteilen?

Das ist zumindest unsicher. Bis die klinischen Tests abgeschlossen sind und ein Impfstoff im großen Stil produziert werden kann, vergehen normalerweise mehrere Jahre. Zudem ist die Frage, ob der Impfstoff dann in wirklich in Millionenzahl produziert werden kann - oder ob es zunächst bei einer Impfung von Teilen der Bevölkerung bleiben würde, zum Beispiel des medizinischen Personals.

Lassen sich die Tests abkürzen?

Derzeit spricht auch viel dafür, dass auch die Erfolgsmeldungen aus anderen Ländern eher den dringenden Wunsch nach einem Impfstoff als den Stand der Wissenschaft beschreiben. In den USA präzisierte der Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, Anthony Fauci, bereits, der Prozess werde auch dort mindestens ein oder eineinhalb Jahre dauern. Die chinesischen Forscher blieben nähere Angaben zu ihrem angeblichen Impfstoff schuldig. Das Unternehmen CureVac, dessen Wissenschaftler in Tübingen mit einem anderen Verfahren, auf der Basis einer sogenannten mRNA-Plattform, an einem Impfstoff arbeiten, rechnet nach eigenen Angaben mit der Enwicklung eines Impfstoffs “innerhalb weniger Monate” - eine Ankündigung, die der Vorstandsvorsitzende David Menichella in dieser Woche gegenüber US-Präsident Trump machte, der in diesem Gespräch mit mehreren Experten und Biotech-Managern den Wettbewerb der Firmen anheizen wollte.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Aber wäre eine Situation wie bei einer Covid-19-Pandemie vielleicht ein Grund, die klinischen Tests abzukürzen? Der Marburger Virologe Becker ist unter Hinweis auf die nötige Sicherheit skeptisch - auch weil sich Nebenwirkungen im größeren Stil verheerend auf die Impfbereitschaft gegen andere Erkrankungen auswirken könnte. Zudem scheint das neue Coronavirus bislang schlicht nicht gefährlich genug, um solche risikoreiche Schritte zu rechtfertigen. Dennoch hoffen Sutter und Becker, dass ihr Vektormodell ein Weg zur rascheren Zulassung sein könnte - weil die Grundlage der Impfung, das Trägervirus, schon bekannt wäre: “Für Notfälle wäre es hilfreich, wenn wir ein verkürztes Verfahren hätten”, erklärt Sutter.

So erscheint es trotz der raschen Fortschritte möglich, dass die Wissenschaftler mit ihrem Impfstoff im Falle des neuen Coronavirus zu spät kommen - so wie Becker die Forschung am SARS-Impfstoff nach einem Jahr aufgab, weil die Krankheit bereits wieder verschwunden war. Umsonst, betonen die Forscher, war die Arbeit dennoch nicht - weil sie den Forschern Grundlagen lieferte, um auf neue Viren reagieren zu können, die ganz sicher kommen werden.



Mehr aus Wissen regional

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken