Wie gesund ist Fett? Forscher untersuchen ketogene Ernährung
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© Quelle: Getty Images/iStockphoto
Es gibt eine Form der Ernährung, bei der Kohlenhydrate fast vollständig durch Fett ersetzt werden. Diese ketogene Ernährung hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Hype erlebt: Neben Gewichtsverlust versprechen sich ihre Anhänger mehr Lebensenergie und geistige Leistungsfähigkeit. Es gibt aber auch Hinweise aus der neurologischen Forschung, dass die fettreiche Kost als Therapie für bestimmte neurologische Erkrankungen wie Epilepsie oder Multiple Sklerose (MS) nützlich sein kann. Fett essen für das Gehirn – ist da etwas dran?
Anfang des 20. Jahrhunderts versuchten Ärzte, eine Diät für Diabetiker zu finden, die den Blutzuckerspiegel senkt, ohne dass Patienten dafür hungern mussten. Dabei experimentierten sie mit verschiedenen Zusammensetzungen der drei Grundnährstoffe Kohlenhydrate, Proteine und Fett. Im Jahr 1921 veröffentlichte der Mediziner Rollin T. Woodyatt aus Chicago seine Beobachtungen mit einer Diät, die „einen zu niedrigen Anteil an Kohlenhydraten und einen zu hohen Anteil an Fett enthält“. Das Blut seiner Patienten habe bei dieser Form der Ernährung dieselben Veränderungen erfahren, die auch beim Fasten auftreten: Der Blutzuckerspiegel blieb niedrig, dafür traten erhöhte Werte bestimmter Stoffwechselprodukte auf, die heute als sogenannter Ketokörper bekannt sind.
Diät gegen Epilepsie
Dass Fasten die Anfallsneigung von Epileptikern mindern kann, ist bereits seit der Antike überliefert und galt zu Woodyatts Zeit als medizinisch etabliert. Könnte nun auch eine fettreiche Diät Epileptikern helfen? Diese Idee verfolgte der Diabetologe Russell Wilder von der amerikanischen Mayo-Klinik in Rochester weiter. Seine Versuche in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts zeigten, dass die ketogene Diät bei Kindern mit Epilepsie die Anfallsneigung deutlich senken konnte. Diese Erfolge sprachen sich in der Fachwelt schnell herum, und bis in die Siebzigerjahre war die ketogene Ernährung die Standardtherapie bei Epilepsie. Noch heute nutzen Neurologen die Diät bei Patienten, deren Anfälle mit Medikamenten nicht in den Griff zu bekommen sind.
Wie aber entfaltet die ketogene Diät ihre Wirkung auf das Nervensystem? Heute wissen wir, dass Ketokörper eine Doppelfunktion haben: Einerseits dienen die Stoffwechselprodukte, die die Leber bei geringer Versorgung mit Kohlenhydraten aus Fetten herstellt, dem Gehirn als alternative Energiequelle. Andererseits beeinflussen sie auch direkt die Reizweiterleitung zwischen Nervenzellen. Ob diese Eigenschaften der Ketone aber auch ihre Wirkung erklären, ist bis heute nicht gesichert.
Seit 100 Jahren hält sich in der Epilepsieforschung die Annahme, dass diese Ketokörper die wirksamen Substanzen der Diät sind.
Robin Williams,
Leiter des Zentrums für biomedizinische Forschung an der Royal Holloway University in London
„Seit 100 Jahren hält sich in der Epilepsieforschung die Annahme, dass diese Ketokörper die wirksamen Substanzen der Diät sind“, sagt Robin Williams, Leiter des Zentrums für biomedizinische Forschung an der Royal Holloway University in London. Er selbst habe da eine andere Vermutung. Seit mehr als 20 Jahren erforscht Williams die molekularen Mechanismen neurologischer Wirkstoffe. Um die Jahrhundertwende suchten Williams und seine Kollegen nach einer Alternative für das Epilepsiemedikament Valproat. Das Mittel zur Behandlung ist heute mehr als 50 Jahre alt und noch immer weit verbreitet. Doch kann es zu Fehlbildungen von Kindern kommen, wenn Schwangere das Medikament einnehmen. Williams und seine Kollegen fanden bei ihrer Suche eine Stoffgruppe, die in einzelnen Zellen dieselben Mechanismen anzustoßen schien wie Valproat: mittelkettige Fettsäuren, auch MCTs genannt.
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© Quelle: PlargueDoctor/iStockphoto
Forschung auch mit Blick auf Demenzerkrankungen
Die Fettmoleküle, so fanden die Londoner Forscher heraus, entfalten in Nervenzellen von Mäusen und Menschen eine antiepileptische Wirkung, die sogar stärker ist als die von Valproat. Auch bei epileptischen Mäusen lindert eine MCT-Diät die Anfallsneigung. Und das Beste: MCTs sind ein natürlicher Bestandteil einer fettreichen Diät. Heute erforscht Williams' Gruppe, ob MCTs für die antiepileptische Wirkung der ketogenen Diät bei Menschen verantwortlich sind.
Ob die Ernährungsform auch bei Demenzerkrankungen von Nutzen sein kann, untersuchen derweil US-Forscher wie der Neurowissenschaftler Mark Mattson vom National Institute for Aging in Baltimore. „Wir vermuten, dass das Protein Beta-Amyloid den Transport von Glukose durch die Blut-Hirn-Schranke mindert“, sagt Mattson. Als eine Ursache für die Alzheimerkrankheit gilt das Verklumpen dieses Proteins. „Die Fähigkeit des Gehirns, Ketokörper als Treibstoff zu nutzen, bleibt dagegen bis spät in der Krankheit erhalten.“ Deshalb untersuchte sein Team, ob eine mit Ketokörpern angereicherte Diät bei gentechnisch veränderten Mäusen den Fortschritt einer alzheimerähnlichen Krankheit aufhalten kann.
Tatsächlich traten die Symptome bei Tieren mit Ketohäppchen später auf und waren schwächer ausgeprägt als bei Käfignachbarn mit kohlenhydratreicher Kost. Die Studie erschien 2013 im Fachmagazin „Neurobiology of Aging“. Solche Ergebnisse mögen optimistisch stimmen. Es fehlt aber bis heute an groß angelegten klinischen Studien, die die Wirksamkeit der Behandlungen auch beim Menschen belegen.
Mit ketogener Ernährung gegen Multiple Sklerose?
In den vergangenen Jahren haben sich auch Hinweise gehäuft, dass eine ketogene Ernährung die Symptome von Multipler Sklerose lindern könnte. So zeigte eine Befragungsstudie, die 2019 in der Fachzeitschrift „Neurology“ erschien, dass eine ketogene Ernährung bei etwa der Hälfte der untersuchten Patienten die MS-Symptome reduzierte. Rund drei Viertel berichteten, dass die typische Müdigkeit (Fatigue) abgenommen hatte. Doch mit nur 20 Teilnehmern war die Gruppe der untersuchten Patienten zu klein für weitreichende Schlüsse. Das gilt für die meisten bisherigen Studien zur ketogenen Ernährung bei MS.
Das könnte sich nun mit einer Studie ändern, die seit 2017 an der Universitätsmedizin Charité in Berlin durchgeführt wird. Mit insgesamt 111 MS-Patienten ist sie die bisher größte, die herausfinden will, ob Interventionen, bei denen Ketokörper gebildet werden – darunter auch Fasten und Intervallfasten –, den Verlauf der Erkrankung beeinflussen können. Und sie untersucht nicht nur das Empfinden von Patienten, sondern vermisst mit Hirnscans auch, ob sich nach 18 Monaten ketogener Diät ein Unterschied in der Schädigung der Hirnrinde zwischen Probanden und Kontrollpersonen feststellen lässt.
Bei Alzheimer oder MS deutet sich also ein Nutzen der ketogenen Ernährung an. Auf endgültige Antworten müssen wir noch warten.