Was tun, wenn das Kind im Homeschooling schwänzt? „Interesse zeigen und Unterstützung anbieten“

Viele Schüler empfinden die Arbeit zu Hause als viel ermüdender.

Viele Schüler empfinden die Arbeit zu Hause als viel ermüdender.

Bis die Eltern etwas mitbekommen, ist es häufig schon zu spät. Denn im Distanzunterricht ist Schwänzen so einfach wie nie zuvor. Wer nicht mehr mitlernen mag oder kann, dessen Bildschirm bleibt einfach schwarz. Was können Eltern tun, wenn aus der Schule das Signal kommt: Wir verlieren Ihren Sohn oder Ihre Tochter? Darüber spricht Psychologe Fabian Grolimund, 42, im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Der Psychologe und Vater zweier Kinder (6 und 8) leitet in der Schweiz die Akademie für Lerncoaching.

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Herr Grolimund, warum klinken sich Kinder aus dem Schulbetrieb aus?

Wichtig finde ich, sich klarzumachen: Das ist eine logische Reaktion. Aus Sicht der Kinder ist das sinnvoll, zum Beispiel, weil sie etwas vermeiden wollen. Meist sind es Ängste, etwa vor Mobbing oder auch vor Prüfungen. Zum Teil werden Schüler schulmüde, weil Schule für sie keinen Sinn mehr hat. Sie haben das Gefühl, Verlierer oder Versager im System zu sein. Manche haben auch Depressionen und einfach gar keine Energie für die Schule.

Und eine große Rolle spielt das Umfeld: Hat ein Schüler Eltern, die hinschauen, die interessiert sind und eine Beziehung haben? Wie sieht der Freundeskreis aus? Häufig ist es auch so, dass Jugendliche einander zum Schwänzen anstecken. Ganz wichtig ist die Lehrer-Schüler-Beziehung. Hat das Kind, der Jugendliche das Gefühl: Bin ich willkommen oder nicht?

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Die Lehrer-Schüler-Beziehung ist im Distanzunterricht auf eine harte Probe gestellt. Verstärkt Corona die Schulmüdigkeit der Kinder?

Ich gehe davon aus, ja. Viele Schüler empfinden die Arbeit zu Hause als viel ermüdender. Sie müssen sich regelrecht aufraffen, vor allem, wenn sie sich selbst viel erarbeiten müssen. Wichtig ist: Für viele Schüler ist die Hauptmotivation, zur Schule zu gehen, dass sie dort andere Kinder und Jugendliche treffen. Das soziale Umfeld aber fällt jetzt weg. Sind dann auch noch die Eltern den ganzen Tag arbeiten, können sich die Kinder ganz gut ausklinken, ohne dass jemand etwas mitbekommt.

Was können Schulen tun, um einer Schulmüdigkeit entgegenzuwirken?

Vor allem sich für die Kinder und für die Familien interessieren. Wir sehen immer wieder Familien, die überfordert sind. Eltern, die sagen: Das zieht sich bei uns über Stunden hin, das Kind ist erschöpft. Dann sprechen sie mit der Schule darüber. Manche Lehrkräfte gehen auf die Eltern zu. Es gibt aber auch immer wieder Lehrkräfte, die mit Repression und Strafen arbeiten, die sagen: Nicht abgegebene Arbeiten, da gibt es eine Sechs! Das ist eine Herangehensweise, die die Probleme verstärkt, weil es den Eltern und Kindern signalisiert: Ihr genügt uns nicht.

Was wäre eine bessere Herangehensweise?

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Es bräuchte Schulen, die Kontakt aufnehmen mit den Eltern. Beide Seiten, also Eltern und Lehrkräfte, müssen aufeinander zugehen, sich austauschen. Man muss also auch mit dem Kind oder dem Jugendlichen ins Gespräch kommen und nach den Ursachen suchen. Die findet man nicht heraus, indem man einfach bestraft.

Aber gerade die jüngeren Kinder sind oft noch nicht so reflektiert, um die Gründe zu benennen.

Dann wäre es ganz wichtig, zusammen mit den Eltern zu schauen, was da los ist. Bei den jüngeren Kindern sieht man es oft eher von außen. Da würde mich als Lehrkraft interessieren: Ist denn irgendeine Form von Betreuung da über den Tag? Sind die Kinder mit dem Stoff überfordert? In der Grundschule möchten eigentlich die meisten Kinder noch lernen. Einige können nicht. Und warum sie nicht können, das müsste man herausfinden. Wenn dann Sanktionen kommen, verschlimmert sich das Problem nur noch.

In vielen Familien ist durchaus ein Elternteil da, aber das gemeinsame Lernen ist einfach sehr belastet. Eltern, die plötzlich Lehrer werden, verhandeln in der Regel ja nicht nur das Bruchrechnen mit ihren Kindern.

Die Eltern haben keine pädagogische Ausbildung, sie bieten den Kindern Erklärungen an, die sie nicht annehmen können, die vielleicht auch nicht richtig sind. Sie arbeiten dann zum Teil auch ungünstig mit Druck. Lassen die Kinder aber gleichzeitig alleine. Da erleben wir bei vielen Eltern eine Erschöpfung und eine Vermischung von Rollen und täglichen Konflikten.

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Was sollten Eltern tun, wenn aus der Schule das Signal kommt „wir verlieren Ihren Sohn, wir verlieren Ihre Tochter“?

Ich finde es schon mal gut, wenn das so formuliert wird. Denn dann sagt ja die Schule: Wir müssen etwas tun. Das macht schon einen riesigen Unterschied. Denn oft werden einfach nur negative Verhaltensweisen zurückgemeldet. Aber die Eltern zu einem Gespräch einzuladen macht einen riesen Unterschied. Dann kann man gemeinsam schauen: Hat das Kind, der Jugendliche keine Motivation mehr? Ist die Strukturlosigkeit das Problem? Braucht es mehr Führung? Vielleicht kann man auch das soziale System miteinbeziehen und schauen: Wer kann inhaltlich helfen? Wer kann Struktur anbieten? Vielleicht können die Großeltern ja auch einspringen.

Der Psychologe und zweifache Vater Fabian Grolimund (42) leitet die Akademie für Lerncoaching, ein Beratungs- und Weiterbildungsinstitut in Zürich.

Der Psychologe und zweifache Vater Fabian Grolimund (42) leitet die Akademie für Lerncoaching, ein Beratungs- und Weiterbildungsinstitut in Zürich.

Um die Beziehung zwischen Eltern und Kind zu entlasten?

Ja, genau. Bewährt hat sich übrigens auch das Buddy-System. Da übernehmen Schülerinnen und Schüler einer Klasse ein Stück weit Verantwortung füreinander. Wenn ein Schüler fehlt, dann fragt man nach, man ruft ihn an, und man bringt sich als Klasse gut durch die Zeit. Die sozialen Beziehungen zwischen Kindern und Jugendlichen können Probleme zwar verstärken, sie können aber eben auch einer Klasse nutzen, damit sich die Schülerinnen und Schüler gegenseitig motivieren.

Falls ein frühes Signal aus der Schule ausbleibt: Gibt es Warnzeichen, auf die Eltern bei ihren Kindern achten können?

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Die Eltern, die regelmäßig nachfragen und das Kind beobachten, die merken normalerweise, dass es plötzlich weniger von der Schule erzählt, dass es weniger Interesse hat, dass es nicht aus dem Bett kommt. Dann häufen sich schon im Normalfall erste Anzeichen, Strafaufgaben, schlechte Noten, die kommuniziert werden. Wenn man ein bisschen hinschaut, dann merkt man es meistens – außer bei den Jugendlichen. Die können das auch sehr geschickt verheimlichen.

Und wenn das Kind dicht macht, was mache ich dann als Elternteil? Gehe ich auf Konfrontation?

Konfrontation, ja. Aber nicht im Sinne einer Strafe. Sondern in dem Sinne, dass man sagt, was für große Sorgen man sich macht. Dass das keinesfalls so bleiben darf, aber dass man wissen will, was mit dem Kind los ist. Ich finde es schlimm, wenn man diesen Punkt, dass das Kind ja einen guten Grund für sein Handeln hat, einfach übergeht. Ein Jugendlicher, der keinen Sinn mehr in seiner Schullaufbahn sieht, dem hilft ja nicht noch mehr Druck. Je mehr ich dem Kind zugestehe, gute Gründe zu haben, desto mehr kann ein Kind auch aufmachen.

Und wie geht es dann weiter? Engmaschige Kontrolle oder laufen lassen?

Engmaschige Betreuung würde ich es nennen. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass Probleme größer werden, wenn Eltern misstrauisch sind, wenn sie kontrollieren. Deswegen würde ich eher sagen: Hinschauen, Interesse zeigen und dem Kind auch Unterstützung anbieten.

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Vielleicht würde es helfen, wenn man einmal am Tag vom Büro aus anruft oder wenn die Großmutter oder Großvater sich per Zoom dazuschaltet. Und so den Kindern das Signal geben: Es ist uns wichtig, dass du nicht verloren gehst

An der Corona-Situation kann man wenig ändern. Muss man das vielleicht auch einfach aushalten und schauen, dass nicht noch mehr verpasst wird?

Man muss schauen, wie das Kind den Einstieg wiederfindet. Ich würde nicht sagen, wir warten einfach, bis die Zeit besser wird. Es ist einfacher geworden, sich im Fernunterricht auszuklinken. Aber trotzdem hat es ja einen Grund, wenn ein Kind das regelmäßig macht. Und den muss man sich anschauen. Je mehr Lehrkräfte und Eltern gemeinsam hinschauen und dem Kind vermitteln, dass es ihnen am Herzen liegt, desto eher findet man auch eine Lösung.

Und wenn klar ist, dass eine Menge Stoff verpasst wurde, was ist die bessere Lösung: Nachhilfe oder das Schuljahr wiederholen?

Das kommt immer auf das Ausmaß an. Wenn zu einem frühen Zeitpunkt viel verpasst wurde, dann kann das Schuljahr nachholen die bessere Lösung sein. Kinder, die in der ersten und zweiten Klasse waren, die haben dann vielleicht ganz grundlegende Kompetenzen nicht aufbauen können. Das ist gravierender, als wenn in der neunten Klasse mal ein paar Monate Geschichte fehlen. Schwierig finde ich es, wenn Kinder ihre ganzen Ferien opfern müssen, um den Stoff aufzuholen. Ohnehin ist der Gedanke, Ferien zu streichen, völlig idiotisch. Familien und Lehrkräfte brauchen eine Pause.

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