Meeresbiologin zur Rettung der Ozeane: „Jeder kann etwas im Kleinen verändern“
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Schleswig-Holstein, Hooge: Die Sonne geht über der Nordsee auf. Das Meer fasziniert Menschen seit jeher. Woran das liegt, erklärt Meeresbiologin Julia Schnetzer im RND-Interview.
© Quelle: Gregor Fischer/dpa
Die Meeresbiologin Julia Schnetzer, 1985 in München geboren, erforscht seit Jahren die Mikro- und Makroorganismen des Meeres. Jetzt hat sie ein neues Buch über die Vielfalt der Ozeane geschrieben: „Wenn Haie leuchten“. Sie studierte Biologie in Köln, an der University of California in Merced sowie am Smithsonian Tropical Research Institute in Panama und promovierte in Mariner Mikrobiologie am Max-Planck-Institut in Bremen. Von 2017 bis 2020 war sie wissenschaftliche Koordinatorin der internationalen Wanderausstellung Ocean Plastics Lab, die sich mit der Meeresverschmutzung durch Plastik beschäftigt.
Im RND-Interview spricht Schnetzer über die faszinierende Welt der Meere – und darüber, was jeder im Kleinen für die Ozeane tun kann.
Was fasziniert uns Menschen so am Meer?
Julia Schnetzer: Das Meer ist eine unbekannte, geheimnisvolle Welt. Alles ist anders im Wasser. Wir können dort nicht einfach reinsteigen und uns umsehen, sondern brauchen dafür Tauchausrüstung oder ein U-Boot. Unsere Zeit in dieser Welt ist begrenzt. Das Licht fällt anders, alles klingt anders, man bewegt sich anders. Die Tiere verhalten sich anders, sind weniger scheu und manchmal auch sehr bizarr. Mich hat diese Faszination für diese so andere Welt schon als Kind gepackt. Kurz nach dem Abi tauchte ich dann zum ersten Mal in einem Korallenriff, mit Haien und Schildkröten. Danach stand für mich fest, dass ich Meeresbiologin werden und die unbekannte Welt dort unten etwas besser verstehen möchte.
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Liebt die Unterwasserwelt seit Kindertagen: die Meeresbiologin Julia Schnetzer.
© Quelle: Gabriela Valdespino
Meeresbiologie: Wie viel die Forschung heute über das Meer weiß
Meeresbiologie klingt sehr abenteuerlich und romantisch. Wie oft steigen Sie noch ins Wasser für die Forschung?
Aus Forschungsgründen eher selten. Mein Spezialgebiet sind Kleinstlebewesen im Meer. Ich verbringe ein paar Wochen an Bord eines Forschungsschiffs, um Proben zu nehmen. Diesem Abenteuer folgen oft zwei Jahre mit viel Laborarbeit und Daten-Auswertung. Natürlich gibt es einige Kolleginnen, die so spektakulären Meeresbewohner wie Haie oder Wale erforschen und sogar mit ihnen tauchen. Das liefert auch tolle Bilder für abendliche Naturdokus. Abseits davon verbringen auch sie die meiste Arbeitszeit am Schreibtisch.
In ihrem Buch „Wenn Haie leuchten“ betonen Sie unsere großen „Wissenslücken“ über das Ökosystem der Meere. Wie viel wissen wir denn nicht?
Das ist eine schwierige Frage. Woher sollen wir wissen, wie viel wir eigentlich wissen, wenn wir gar nicht wissen, wie viel wir nicht wissen. In der Wissenschaft ist man sich etwas uneinig über die Wissenslücken. Manche Forscherinnen glauben zum Beispiel, dass wir schon 30 bis 40 Prozent aller Arten im Meer kennen, andere sprechen von weniger als zehn Prozent. Sicher ist aber, dass wir immer mehr entdecken, zum Beispiel dank neuer Tauchroboter und besserer Auswertungsmethoden. Dieser enorme Erkenntnisgewinn beschränkt sich übrigens nicht nur auf Kleinstlebewesen in der Tiefsee. Erst vor wenigen Wochen wurden eine neue Walart und eine bisher unbekannte Population von Blauwalen im Indischen Ozean entdeckt.
Wie oft wurden Sie als Meeresbiologin beim Schreiben des Buches von neuen Erkenntnissen überrascht?
Das Buch zu schreiben, hat mir großen Spaß gemacht. Vor allem, weil ich selbst viel Neues und Überraschendes gelernt habe – vor allem bei Themen außerhalb meines Forschungsgebietes. Zum Beispiel hat mich die große Vielfalt der fluoreszierenden Meeresbewohner sehr beeindruckt, genau wie die Tatsache, dass Wasserinsekten wie die Meerwasserläufer ihr gesamtes Leben auf der Oberfläche der Meere verbringen. Viel Spaß hatte ich auch an dem Delfin-Kapitel. Zum Beispiel knabbern junge Delfine an Kugelfischen, um sich zu berauschen. An solchen verrückten Geschichten und ihrer noch verrückteren Entdeckung kann ich mich sehr erfreuen.
Gern wird gesagt, die Oberfläche des Mondes sei besser bekannt als die Tiefsee. Im Moment wird sehr viel Geld in Weltraumforschung investiert. Warum gibt es nicht ähnliche Anstrengungen beim Schutz und der Erforschung der Weltmeere?
Das ist eine gute Frage, auf die ich keine Antwort habe. Aber die Forschungsgelder für Raumfahrtprojekte sind tatsächlich deutlich höher als in der Meeresbiologie. Ich will auch gar keine künstliche Konkurrenz erzeugen. Auch die Erkenntnisse aus der Weltraumforschung sind wichtig und sehr spannend. Aber ich habe keine Hoffnung, dass der Mars eine gute Alternative zum Leben wird. Wir sollten lieber all unsere Energie in die Erhaltung unserer Erde stecken. Zum Glück sind die große Bedeutung des Meeres für unser Klima und ihre Bedrohung durch Plastikmüll oder Überfischung inzwischen präsenter im Bewusstsein der Politik und Gesellschaft. Das stimmt mich ein kleines bisschen hoffnungsvoll, dass sich etwas bewegt.
Wird man als Meeresbiologin automatisch zur Umweltschützerin?
Ja, allein deswegen, weil man die Auswirkungen der Umweltverschmutzung und des Klimawandels täglich vor sich sieht. Ich habe in meiner Bachelorarbeit zum Beispiel Korallen untersucht. Alle untersuchten Proben zeigten Spuren der Meereserwärmung und -versauerung. Das schafft Bewusstsein und sorgt auch dafür, dass man in vielen Dingen bewusster handelt – zum Beispiel bei der Vermeidung von Plastik oder dem Blick auf nachhaltigen Fischfang. Gleichzeitig sorgt diese tägliche Auseinandersetzung auch für traurige Momente, in denen man verzweifelt und glaubt, dass die Meere nicht mehr zu retten sind. Zum Glück lernt man durch den Beruf auch viele Menschen mit tollen Ideen zur Rettung der Meere kennen.
Die Ozeane und das Plastik: Was jeder zum Schutz der Meere beitragen kann
Sie haben ein Sachbuch über die Welt der Meere geschrieben und bringen auch als Science-Slammerin den Menschen neue Erkenntnisse aus der Biologie näher. Wie wichtig ist Wissenschaftskommunikation für den Schutz der Meere?
Ich finde folgenden Spruch in diesem Zusammenhang ganz passend. Du schützt nur das, was du liebst und du liebst nur das, was du kennst. Viele Menschen verbinden mit dem Meer nur Fische und Urlaub. Aber es steckt noch so viel mehr in diesem Lebensraum. Er ist immens wichtig für unseren Alltag, sei es für das Klima, den Sauerstoff, den wir atmen oder die Nahrung. Solche Zusammenhänge zu erklären, halte ich für wirklich wichtig, um die Menschen noch mehr für den Schutz der Meere zu sensibilisieren. Gleichzeitig wollte ich kein Lehrbuch mit erhobenen Zeigefinger oder möglichst vielen Horror-Geschichten schreiben, sondern meinen Leserinnen und Lesern mehr über die Schönheit und die Faszination der Meere berichten und Einblicke in die Forschung und die vielen offenen Fragen geben. Natürlich kommt man dabei nicht umher, auch die großen Probleme der Meere anzusprechen. Trotzdem soll mein Buch die Liebe zum Meer wecken und nicht deprimierend sein. Das motiviert aus meiner Sicht eher zum Schutz als ein Gefühl der Verzweiflung.
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Julia Schnetzer: Wenn Haie leuchten. Eine Reise in die geheimnisvolle Welt der Meeresforschung. Hanserblau. 18,00 Euro. 240 Seiten. ISBN-13: 978-3446269477
© Quelle: Hanserblau
Gleichzeitig wirken die Probleme der Meere so gewaltig – sie werden saurer und erwärmen sich. Der Plastikmüll wächst täglich. Kann trotzdem jeder etwas zur Rettung beitragen?
Nicht jeder kann auf hoher See Wale retten, aber jeder kann etwas im Kleinen verändern. Gerade das Thema Meeresplastik lässt sich durch unser Konsumverhalten beeinflussen. Wenn wir alle versuchen möglichst viel Plastik im Alltag wegzulassen, landet auch weniger im Meer. Einweggeschirr oder To-Go-Kaffeebecher sollten deshalb einfach tabu sein. Auch Müll aufzusammeln im Park oder am Strand ist eine gute Sache. Wenn man mehr zum Schutz der Wale oder Haie tun möchte, könnte man auch Umweltschutzorganisationen unterstützen, die in diesen Bereichen aktiv sind. Auch politisches Engagement ist durchaus ein Mittel, um Dinge zu verändern.
Das bringt mich eigentlich zur finalen und großen Frage: Sind die Meere noch zu retten?
Das ist eine große Frage, auf die ich keine genaue Antwort kenne. Aber mein Gefühl sagt mir, ja, wir können sie noch retten, allerdings müssen wir uns wirklich ranhalten. Ich hoffe auf größere und effektivere Schutzgebiete, Verbote von Dingen wie Schleppnetzfischerei oder mehr Anstrengung bei der Müllvermeidung. Außerdem hoffe ich, dass Dinge wie Tiefseebergbau nur Utopien bleiben und nicht wirklich umgesetzt werden. Und ich hoffe darauf, dass die Politik mehr auf die Wissenschaft hört und unseren Empfehlungen zum Schutz der Meere Gehör schenkt.