T-Shirts für den Kompost: Warum der Trend nur umweltfreundlich scheint
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Für viele Hersteller ist Nachhaltigkeit in der Mode eine Pflicht, die den Absatz zusätzlich steigert. Manche von ihnen werben sogar mit biologisch abbaubarer Kleidung.
© Quelle: Thirdman/Pexels
Im Schnitt kaufen wir 60 neue Kleidungsstücke im Jahr, dazu kommen Socken und Unterwäsche, sprich: jede Woche mindestens ein T-Shirt, ein Pulli oder eine Hose, die wir bestellen oder bei H&M, Zara und Co. mitnehmen und dann in unseren Schrank legen. Mehr als die Hälfte dieser Kleider sortieren wir nach spätestens drei Jahren aus, weil sie Löcher und Flecken haben, ausgewaschen oder zu klein geworden sind, aber auch, weil wir Platz für etwas Neues schaffen wollen.
Wir packen sie in eine Tüte und werfen diese in den nächsten Altkleidercontainer, meist mit der vagen Vermutung, damit Obdachlosen, Waisenhauskindern oder anderen Bedürftigen etwas Gutes zu tun. Für uns ist das Problem hiermit gelöst – für die Umwelt leider noch nicht. Etwa zwei Drittel der gesammelten Güter werden laut einer Studie des Fachverbandes Textilrecycling wiederverwendet, vor allem, indem man sie als Secondhandware nach Osteuropa und Afrika verschifft, wo sie die dortigen Textilmärkte überschwemmen. Der Rest lässt sich aufgrund des schlechten Zustands oder der Materialzusammensetzung nur noch als Putzlappen, Dämmmaterial und Malervlies verwenden – oder landet auf einer Deponie.
Downcycling statt Recycling
Das Wort „Recycling“: eine Beschönigung. „Downcycling“ müsste es richtig heißen, denn bei der Weiterverarbeitung verliert das Ausgangsprodukt an Wert. Dieses Schicksal blüht, wie die gemeinnützige Organisation Ellen MacArthur Foundation in einem aktuellen Report ihrer Initiative Make Fashion Circular schätzt, weltweit 73 Prozent aller Kleider: Von zehn weggegebenen Teilen werden im Schnitt mehr als sieben früher oder später verbrannt – zumal die Zahl der neu produzierten, gekauften und letztlich entsorgten Kleidungsstücke seit Jahren steigt, während wir die einzelnen Teile über eine immer kürzere Zeitspanne hinweg tragen.
Gleichzeitig bewerben zahlreiche Modeunternehmen die Nachhaltigkeit ihrer Produkte. Aber was genau bedeutet das eigentlich in der Branche? „Der Begriff ist weder geschützt noch klar definiert“, sagt Jürgen Janssen vom Bündnis für nachhaltige Textilien. Aus Sicht der Organisation erfüllt eine nachhaltige Textilie „hohe soziale und ökologische Standards entlang der gesamten Lieferkette, das heißt von der Fasergewinnung über die verschiedenen Schritte der Produktion und die Nutzung bis hin zur Wiederverwertung oder Entsorgung“. In der Praxis würden die Begriffe jedoch unterschiedlich verwendet und ausgelegt.
Nachhaltigkeit: gute Bewertung für Adidas
Für Modefirmen ist das recht praktisch. So lässt es sich in Zeiten, in denen Nachhaltigkeit gewissermaßen zum guten Ton gehört, leicht damit werben. Etwa bei dem Designerlabel Louis Vuitton, das dem weltweit umsatzstärksten Bekleidungskonzern Moët Hennessy Louis Vuitton (LVHM) angehört, gibt es online auf der Startseite noch über der Menüleiste den Punkt „Nachhaltigkeit“. Über diesen gelangt man zu verschiedenen Berichten. Im aktuellsten verspricht Louis Vuitton beispielsweise, all seine Produkte „bis 2025 in einem nachhaltigen Prozess“ anzufertigen oder gibt an, „an innovativen und kreativen Kreisläufen“ zu arbeiten, „um die Nachhaltigkeit der Produkte fortlaufend zu verbessern“.
Das hört sich schön an. Auf der Bewertungsseite Good on You, die Marken hinsichtlich Umweltbilanz, sozialen Standards und Tierschutz bewertet, erhält Louis Vuitton dennoch nur einen Smiley mit heruntergezogenen Mundwinkeln, was bedeutet: nicht gut genug. Auch zwei der weltweit umsatzstärksten Bekleidungsfirmen, Nike und Kering mit Marken wie Gucci, Balenciaga und Bottega Veneta, erhalten lediglich mittelmäßige Bewertungen. Sie stehen laut Good on You bei der Umstellung auf eine nachhaltige Produktion erst am Anfang. Eine Ausnahme bildet Platz drei der Fashion-Global-Player: der Konzern Adidas, dessen Marken Adidas und Adidas by Stella McCartney beide mit „good“ abschneiden.
Nachhaltige Kleidung kann teuer sein – muss sie aber nicht
Was man dort richtiger macht als bei anderen Unternehmen? Man setzt nicht nur darauf, Produkte aus recyceltem Material herzustellen – sondern auch aus recyclingfähigem. Dieser letzte Schritt am Ende der Nutzungskette ist entscheidend. „Wenn das Textil von keinem Menschen mehr getragen werden kann, ist der letzte Schritt entweder die Verbrennung oder die Müllhalde, oder es verbleibt in der Umwelt“, sagt die Textilingenieurin Friederike Priebe. Sie leitet bei der Epea GmbH den Bereich zu kreislauffähigen Textilien.
Produkte, die das von Epea entwickelte Cradle-to-Cradle-Zertifikat erhalten, erfüllen ab der Auszeichnungshöhe Gold sehr hohe Anforderungen bezüglich Materialgesundheit, Kreislauffähigkeit, Einsatz erneuerbarer Energien, gesunder Nutzung von Wasser und sozialer Fairness. Optisch sind die zertifizierten Kleider von konventionellen nicht zu unterscheiden. Wie erschwinglich sie sind, hängt ganz davon ab, wo man sie kauft: Etwa bei C&A gibt es ein kompostierbares Longshirt schon ab 9,99 Euro, bei Calida kostet es fast 60 Euro.
Fast Fashion bleibt ein Problem für die Umwelt
Die Hersteller werben teilweise damit, dass sich die Textilien auf einem Kompost innerhalb weniger Monate selbst zersetzten. So zeigen etwa bei Trigema mehrere Bilder, wie ein neues weißes T-Shirt nach und nach verrottet. Die Kompostierbarkeit steht dabei aber nicht ausschließlich im Fokus – eher das Ziel „umweltsichere Textilien“, wie die Textilingenieurin Priebe es ausdrückt. Also Textilien, deren Zusammensetzung sich bis ins kleinste Molekül nachvollziehen lässt und die garantiert unbedenklich für Mensch und Umwelt sind.
Das ist nicht nur für das Leben nach dem Altkleidercontainer wichtig, sondern auch während der Nutzung: Denn beim Tragen und Waschen verliert jedes Kleidungsstück winzige Partikel, die in der Umwelt landen und sich dann in Gewässern und dem Boden anreichern. Die Lösung aller Probleme sind solche Kleider leider trotzdem nicht. Denn das Hauptproblem – das Prinzip Fast Fashion – bleibt bestehen.
Denn selbst wenn der kompostierbare Pullover, der bei näheren Hinsehen doch nicht so gut passt, schließlich immerhin eins mit der Erde wird, hat allein schon seine Produktion zahlreiche wertvolle Ressourcen verschlungen.