Der Kinofilm „Treasure“

Roadmovie nach Auschwitz: eine tragikomische Vater-Tochter-Geschichte

Schmerz, der nicht vergeht: Ruth (Lena Dunham) und Edek (Stephen Fry) reisen nach Polen.

Als der Eiserne Vorhang Anfang der 1990er-Jahre fiel, machten sich zahlreiche polnische Jüdinnen und Juden aus den USA auf, um das Land ihrer Herkunft zu erkunden. Vor allem wollten sie die KZ-Gedenkstätte in Auschwitz-Birkenau besuchen.

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Das will auch die New Yorker Journalistin Ruth Rothwax (Lena Dunham) mit ihrem Vater Edek (Stephen Fry). Ruth hat die Reise akribisch vorbereitet und hofft, mehr über ihre Familiengeschichte zu erfahren, über die ihre Eltern nie mit ihr redeten. Nach dem Tod seiner Frau begleitet Edek die Tochter eher widerwillig und torpediert immer wieder deren Planungen.

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Am Flughafen in Warschau weigert er sich, in den Nahverkehrszug zu steigen, und heuert stattdessen Stefan (Zbigniew Zamachowski) als Chauffeur an. „Ich hasse die Deutschen. Aber nicht Mercedes“, sagt Edek lachend, als er sich in den Beifahrersitz des alten Benz sinken lässt. Überhaupt scheint der Vater stets bester Laune zu sein. Er flirtet mit Miss-Poland-Bewerberinnen und älteren Damen, wirft im Hotel mit Trinkgeld nur so um sich und stellt sich abends in der Bar als Karaoke-Sänger auf die Bühne. Nur auf Ruths Reise in die Vergangenheit will er sich nicht einlassen.

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Die generationsübergreifenden Folgen des Holocaust

Als die beiden in Lodz vor dem Wohnhaus stehen, aus dem die jüdische Familie von den Nazis vertrieben wurde, will er nach einem kurzen Blick weiterfahren. Ruth schleppt ihn in die Wohnung. 1940 habe die Familie die Wohnung leer übernommen, behauptet der polnische Bewohner. Dann bringt seine Frau den Tee in der Kanne herein, die zum Service von Edeks Eltern gehört. Edek will von all den Erinnerungsstücken nichts wissen. Ruth kehrt am nächsten Tag zurück und kauft das Porzellan zu einem überhöhten Preis. Endlich hat sie etwas Fassbares aus der Geschichte ihrer Familie in der Hand.

In ihrem ersten englischsprachigen Film „Treasure“ erkundet Julia von Heinz („Und morgen die ganze Welt“) nach dem Roman „Zu viele Männer“ von Lily Brett die generationsübergreifenden Folgen des Holocaust in Form eines tragikomischen Vater-Tochter-Roadmovies. Die Geschichte lebt von der emotionalen Umkehrung der Verhältnisse. Während der Vater als Holocaust-Überlebender das Trauma mit Lebenslust hinter sich lassen will, leidet die Tochter unter der familiären Entwurzelung.

Als beide schließlich in Auschwitz stehen, kann sich Edek an jedes Detail erinnern. Die Konfrontation wird nicht als Schockmoment, sondern mit diskreter Zärtlichkeit in Szene gesetzt.

„Treasure“ ist das passgenaue Gegenstück zu Jonathan Glazers „Zone of Interest“. Wo Letzterer die Ungeheuerlichkeit des Holocaust fokussiert, widmet sich von Heinz den retrospektiven Verdrängungsmechanismen aus der Opferperspektive. Mit Stephen Fry und „Girls“-Star Lena Dunham ist das Vater-Tochter-Gespann ideal besetzt, weil beide den melancholischen Humor ihrer Figuren genauso verkörpern wie die Verletzlichkeit, die sich dahinter verbirgt.

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„Treasure“, Regie Julia von Heinz, mit Stephen Fry, Lena Dunham, Zbigniew Zamachowski, 111 Minuten, FSK 12

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