Die „Ferragnez“: Ein Influencerpaar mischt Italiens Politik auf
Rom. Das bisher letzte Opfer des Influencerpaars war Vittorio Sgarbi. Der streitbare Abgeordnete und Kunstkritiker, jahrelang Mitglied von Silvio Berlusconis Partei Forza Italia, hatte sich über die bemalten Fingernägel lustig gemacht, die der Rapper Fedez in letzter Zeit zur Schau trug. „Lack auf den Fingernägeln, Rost im Hirn“, postete der 69-jährige Sgarbi am Wochenende etwas infantil auf Instagram. Die Antwort des Rappers ließ nicht lange auf sich warten. „Was hat Herr Sgarbi eigentlich für Probleme? Ist für den von uns Steuerzahlern besoldeten Abgeordneten der Nagellack eine Priorität des Landes? Ich schäme mich nicht für den Nagellack, aber ich schäme mich dafür, dass ein Idiot wie Sgarbi die Diversität und die Einzigartigkeit der Menschen in diesem Land repräsentiert“, konterte Fedez.
Der Schlagabtausch zwischen dem 31-jährigen Musiker aus Mailand und dem 69-jährigen Berufspolitiker aus Ferrara wurde von halb Italien verfolgt: Federico Leonardo Lucia, wie Fedez mit bürgerlichem Namen heißt, hat in den sozialen Medien mehr als 12 Millionen Follower. Seine Frau, die 34-jährige Mode- und Lifestylebloggerin Chiara Ferragni, kommt auf doppelt so viele: Sie gilt als wichtigste Influencerin Italiens. Und gleichzeitig ist sie die erfolgreichste Jungunternehmerin des Landes: 2009 hatte sie mit ihrem Modeblog „The Blonde Salad“ bei null begonnen, heute leitet sie ein digitales Unternehmen mit 80 Angestellten und sitzt im Aufsichtsrat des Luxuslabels Tod’s. Ein gesponserter Beitrag auf ihrem Instagram-Kanal bringt ihr 60.000 Euro ein.
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Zur vollständigen AnsichtDie „Ferragnez“ sind in Italien längst ein Phänomen
Die „Ferragnez“ – eine Wortkombination aus Ferragni und Fedez – sind in Italien längst ein Phänomen, ein gesellschaftlicher und zunehmend auch ein politischer Machtfaktor. Mit ihren zusammen 36 Millionen Followern verfügen sie in den sozialen Medien über eine geradezu unheimliche Reichweite. Und sie nutzen ihren Einfluss zunehmend, um politische Botschaften an ihr vorwiegend junges Publikum zu senden.
Zwar kann die Anzahl der Follower nicht mit der Anzahl von Wählerstimmen verglichen werden, aber die Dimensionen sind eindrücklich: Bei den letzten Parlamentswahlen vom Frühling 2018 hatte die Fünf-Sterne-Bewegung als stärkste Partei 11áMillionen Stimmen erhalten – weniger als ein Drittel der Follower von „Ferragnez“. Experten sind sich einig, dass derart populäre Influencer bei Wahlen durchaus zum Zünglein an der Waage werden können.
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Zur vollständigen AnsichtFerragni und Fedez mischen sich erst seit Kurzem in die Politik ein
Dass sich Ferragni und Fedez in die Politik einmischen, ist relativ neu. Im Frühling 2020, zu Beginn der Pandemie, sammelten sie innerhalb von wenigen Tagen 4,4 Millionen Euro für eine neue Intensivstation für Covid-Patienten im Mailänder San-Raffaele-Krankenhaus. Dank dieser Aktion wurde der damalige Premier Giuseppe Conte auf die beiden aufmerksam und rief Ferragni und Fedez an, um sie zu bitten, auf Instagram die Bevölkerung zum Tragen von Atemschutzmasken aufzufordern. Was die beiden auch taten: Der „Ferragnez“-Clip wurde millionenfach angeklickt.
Das hat sie auf den Geschmack gebracht: In ihren Posts auf Instagram und Twitter geht es seither immer häufiger ums Impfen, um die Diskriminierung von Frauen, um Homophobie, um Umweltschutz und Klimawandel. Zu einem ersten politischen Eklat war es im vergangenen Mai gekommen, nachdem Fedez von der Bühne des traditionellen 1.-Mai-Konzerts in Rom Werbung für ein neues Gesetz gemacht hatte, mit dem die Diskriminierung nichtheterosexueller Menschen schärfer bestraft werden soll. Ex-Innenminister Matteo Salvini, dessen rechtsnationale Lega das Gesetz ablehnt und im Parlament blockiert, warf Fedez vor, ein von den Steuerzahlern mit 500.000 Euro subventioniertes Konzert für politische Propaganda zu missbrauchen. Der Rapper konterte schlagfertig mit einer Frage: Wo seien denn die 49 Millionen Euro an staatlichen Parteizuschüssen geblieben, welche die Lega laut der Mailänder Staatsanwaltschaft zweckentfremdet habe? Außerdem, fügte Fedez an, hätten sowohl er selber als auch seine Musiker bei dem 1.-Mai-Konzert auf eine Gage verzichtet. Salvini sah bei dem Schlagabtausch nicht sehr gut aus.
Fedez stand einst der Fünf-Sterne-Protestbewegung nahe
Fedez stand einst der Fünf-Sterne-Protestbewegung nahe, aber im Grunde sind weder er noch Chiara Ferragni politisch auf ein bestimmtes Lager festgelegt. Das zeigte sich vor ein paar Wochen, als sich Ferragni mit dem früheren Chef der sozialdemokratischen Partito Democratico und Ex-Premier Matteo Renzi anlegte. Auch Renzi machte dabei keine gute Figur – obwohl er, wie auch Salvini, im Umgang mit den sozialen Medien durchaus gewandt ist.
Italiens Politiker sind mit dem Phänomen „Ferragnez“ sichtlich überfordert und von der Reichweite der beiden Influencer eingeschüchtert. Die beiden haben es auch einfacher: Fedez und Ferragni müssen nicht gewählt werden wie die von ihnen angegriffenen Politiker, sie müssen nicht mühsam Mehrheiten finden für Gesetze, sie müssen diese auch nicht im Detail kennen – und erreichen mit ihren Posts zu bestimmten politischen Themen trotzdem ein Millionenpublikum.
Eine politische Karriere strebt Fedez nicht an
Den Grund, warum er sich in die Politik einmischt, erklärte Fedez unlängst so: „Der Italiener ist ein Mensch, der ein ‚casino‘ macht während einer Schweigeminute – und der still bleibt, wenn er eigentlich ein ‚casino‘ machen sollte.“ Wenn er den Eindruck habe, dass politisch etwas falsch laufe, dann mache er eben ein „casino“, sagte der Rapper. Aber eine politische Karriere strebe er nicht an: „Auf der Liste der Dinge, die meine Frau und ich zu tun haben, kommt der Einstieg in die Politik direkt nach dem Beruf des Kricketspielers“, sagte er in einem Video.