Ex-Sky-Manager: „So teuer war Live-Fußball für den Fan früher nie“
Kaum jemand kennt die Sportmedienbranche so gut wie Holger Enßlin. Er war für den Pay-TV-Sender Sky an sechs Rechteausschreibungen der Fußball-Bundesliga beteiligt. Bis 2020 war er über 17 Jahre beim Medienunternehmen tätig. Aktuell führt Enßlin das Deutschlandgeschäft der Agentur Commercial Sports Media.
Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) spricht der 57-Jährige über die schwierige Zukunft der Sportübertragung, die Auswirkungen auf den Fußball und seine Fans, die Rolle von Apple, Amazon und Co. – und wieso die Bundesliga auch mal bei YouTube laufen könnte.
Herr Enßlin, wie bedrohlich ist die Krise auf dem deutschen Medienmarkt?
Die Landschaft sieht im Moment nicht einfach aus. Sie ist geprägt von einem Überangebot an TV-Sendern und Streamingdiensten, teilweise sinkender Nutzung, Änderung der Nutzungsgewohnheiten insbesondere der jüngeren Generation, steigenden Kosten und digitaler Disruption, etwa durch Künstliche Intelligenz. Die Werbebudgets werden zunehmend von Social Media abgesaugt. Dazu kommen die mächtigen globalen Streamer, während die nationale Medienbranche sich den Herausforderungen stellen und ihr Geschäftsmodell neu finden muss.
Das klingt kompliziert …
Ich bin überzeugt, dass der Trend zum Streaming nicht aufzuhalten sein wird. Vielleicht verschwindet der letzte Broadcaster noch vor der letzten Papierzeitung. Es geht alles auf Streaming, auf Apps. Da bleibt die Frage: Wie viele nationale Anbieter verträgt ein Markt neben den global erfolgreichen Streamern, die andere Möglichkeiten haben? Magenta TV, Giga TV, RTL+, Joyn, Sky, DAZN – es kann sein, dass nur zwei oder drei übrig bleiben. Erste Konsolidierungen sehen wir jetzt mit dem Übernahmeangebot von Media for Europe für Pro7.
Diese Gemengelage ist ein Problem für diejenigen, die sonst vom starken Markt profitieren – etwa die Fußball-Bundesliga.
Die Bundesliga hat entgegen dem Trend, der in anderen Ligen wie Italien und Frankreich beobachtet werden konnte, Wettbewerb um die Rechte kreieren und die Einnahmen leicht steigern können. Sie hat davon profitiert, dass es mit Sky und DAZN zwei Player im Markt gibt, die beide für ihr Geschäftsmodell in Deutschland die Bundesliga-Rechte brauchen. Letztlich ging es bei diesem Bieterwettstreit auch um Konsolidierung: DAZN wollte Sky den Hauptteil der Rechte abjagen, mit dem Ziel, der Platzhirsch bei Sportübertragungen in Deutschland zu sein. (Details zur neuen TV-Verteilung lesen Sie hier!)
Axel Hellmann, Vorstandschef von Eintracht Frankfurt und wichtige Stimme in der Deutschen Fußball Liga (DFL), sagte jüngst, er glaube nicht an Geschäftsmodelle, die auf Dauer von Verlusten getragen sind. Das bedeutet was genau?
Ich denke, er hat sich mit der Aussage auf die wichtigsten Liga-Geldgeber Sky und DAZN bezogen, die beide finanziell konservativer agieren müssen als in der Vergangenheit, um profitabel zu werden. Schon jetzt zahlt der Fan eine ungeheure Summe, um Live-Spiele anschauen zu können, was Medienkonzernen noch nie ausreichend die Kassen gefüllt hat. Abonnenten zahlen 45 Euro für DAZN, bekommen dafür ein Drittel der Bundesliga und die Champions League. Um den Rest der Bundesliga zu sehen, werden 30 Euro oder mehr für Sky fällig, dazu kommen Amazon Prime und RTL+. Über 80 Euro für europäischen Live-Fußball – so teuer war es früher nie. Es sieht nicht so aus, als würde in der jüngeren Zielgruppe die Anzahl derer steigen, die bereit sind, solche Summen zu zahlen.
Was folgt daraus?
Medienunternehmen müssen vorsichtiger agieren, da Abo-Wachstum oder steigende Einschaltquoten durch Sport nicht mehr garantiert sind, von einer Refinanzierung ganz abgesehen. Teurer Live-Fußball mag kurzfristig ein Wachstumstreiber sein, aber kann das nachhaltig sein, wenn die Rechte in kurzen Zyklen von drei, vier Jahren wieder ausgeschrieben werden? Das alte Pay-TV-Geschäftsmodell lautet: 90 Minuten Fußballspiel, Vor- und Nachberichterstattung, Halbzeitanalyse. Noch gibt es viele, die das schauen, Männer über 50 wie ich (lacht). Nutzungsgewohnheiten und Zahlungsbereitschaft der Jungen sehen anders aus. Das führt zum massiven Umbruch.
„Es gibt viele Möglichkeiten, um jüngere Fans zu bedienen.“
Darin liegt doch eine Chance für Ligen wie die DFL.
Eine Möglichkeit ist, die Erstellung und Vermarktung des Produkts nicht exklusiv an den Medienpartner zu geben, sondern eigene Kapazitäten zu schaffen. Die DFL produziert die Livebilder schon lange selbst. Neben der Lizenzierung an Free-TV und Bezahlangebote bleiben weitere flexiblere Vermarktungsmöglichkeiten für Ligen und Klubs. Eine andere Strategie könnte lauten: Die Liga schließt einen globalen Deal etwa mit YouTube, die einen kompletten Buy-out (Vertrag, mit dem alle Nutzungsrechte veräußert werden, d. Red.) machen und die Rechte verwerten, wie sie wollen. Da sprechen wir von einem langfristigen, symbiotischen Verhältnis. Auch das schließt nicht aus, das eine oder andere Spiel parallel ins Free-TV zu verkaufen oder bei YouTube kostenlos zu streamen. Es gibt viele Möglichkeiten, um jüngere Fans zu bedienen. Ein großes Problem besteht aber für solche Ansätze.
Und zwar?
Viele Ligen, auch die Bundesliga, sind ein sehr nationales Produkt, 85 Prozent der Erlöse kommen aus dem deutschsprachigen Kernmarkt. Für einen globalen Buy-out wie bei der US-Fußballliga MLS um Superstar Lionel Messi durch Apple müsste die DFL im Ausland interessanter werden, etwa durch internationale Stars. Andererseits kann eine globale Vermarktung der Bundesliga zusätzliche Bedeutung in Märkten verleihen, in denen sie noch nicht ausreichend repräsentiert ist.
Streamingriesen wie Amazon oder Apple lassen bisher die Finger von der Bundesliga. Deren Einstieg hatte Bayern-Patron Uli Hoeneß dabei schon vor Jahren als möglichen Rettungsanker für weiterhin hohe Medienerlöse der Bundesliga ausgemacht.
Alle schauen auf den US-Markt, wo die NFL im Football, die NBA im Basketball, selbst Nascar (amerikanische Motorsportliga, d. Red.) lukrative Milliardenverträge geschlossen haben. Medienunternehmen können sich mit langfristigen Deals für die Zukunft absichern. Da sprechen wir von zehn Jahren Laufzeit. Medienunternehmen wie Warner-Discovery oder Streaminganbieter nutzen das im harten Verdrängungswettbewerb der Streamer in den USA. Das ist gut investiertes Geld.
„Der amerikanische Weg wäre, sich komplett für Kommerz und Entertainment zu öffnen.“
Es müsste hier also ein anderer Ansatz her, der Klubs, Medienunternehmen und Fans zufriedenstellt, etwa eine Ausschreibung der Rechte über viel längere Zeit?
Da könnte jeder Klub für acht oder zehn Jahre einen Businessplan aufstellen, wie sich die Bereiche Sponsoring, Stadioninfrastruktur, Gehälter entwickeln. Dann sprechen wir von anderen Planungshorizonten, was das Geschäft stabilisieren könnte, ja.
Klubs wie der FC St. Pauli, Heidenheim und Kiel werden das schwerer haben als der FC Bayern. Hinzu kommt: Der Hamburger SV und Schalke 04 mit großen Fangemeinden und damit hohen TV-Reichweiten spielen dagegen nur in der 2. Liga.
Langfristigere Planungshorizonte können auch den Vereinen helfen, die sich nach oben gearbeitet haben. Vielleicht gelingt es dadurch sogar mehr Klubs, das zu tun. Für Medienunternehmen bleibt es aber wichtig, dass Klubs mit den größten Fangemeinden in den höchsten Spielklassen spielen.
Nun ist das Sportsystem in den USA ein anderes, es gibt keinen Auf- und Abstieg. Können Sie nachvollziehen, dass der Fußball hierzulande traditionell einen anderen Weg geht?
Die Frage stellt sich schon. Der amerikanische Weg wäre, sich komplett für Kommerz und Entertainment zu öffnen. Ich habe Verständnis, wenn Fans sagen, dass sie darauf keine Lust haben.