„Müssen sehr klar und hart sein“

Nach Ukraine-Reise: Hofreiter fordert mehr Klarheit beim Thema Korruption

Anton Hofreiter, Bundestagsabgeordneter der Grünen.

Berlin. Kurz vor dem Ende der parlamentarischen Sommerpause sitzt der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter in seinem Büro im fünften Stock des Paul-Löbe-Hauses. Der 55-Jährige ist am Vortag von einer Reise in die Ukraine zurückgekehrt. Dabei sind seine Botschaften teilweise optimistischer, als es zu erwarten war.

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Herr Hofreiter, Sie waren jetzt ein paar Tage in der Ukraine, der wievielte Besuch war das?

Das war jetzt der sechste Besuch seit Beginn des Krieges.

Was hat sich verändert?

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Die Situation ist dramatisch. Jeden Tag gibt es zahlreiche Angriffe auf Zivilisten, die Energieinfrastruktur und immer wieder auf die Hauptstadt. Gleichzeitig ist die Stimmung in der Ukraine teilweise deutlich besser als noch vor einem halben Jahr, weil es ihnen gelingt, die Front zu stabilisieren und Russland immer stärker auch im Inland zu treffen, insbesondere die russische Öl-Industrie. Was ich diesmal auch besonders auffallend fand: Wie stark die ukrainische Zivilgesellschaft den Versuch von Präsident Wolodymyr Selenskyj und Teilen des Parlaments abgewehrt hat, die Unabhängigkeit der Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft und der Anti-Korruptions-Ermittlungen zu behindern. Die Demokratie ist in der ukrainischen Gesellschaft wirklich stark verankert. Viele, auch im Parlament, wünschen sich, dass wir der Ukraine da mehr auf die Finger schauen. Allerdings ist dabei unter anderem Jens Spahn ein Problem.

Inwiefern?

Wenn wir die Korruption in der Ukraine beklagen, dann ist es schwierig, einen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag zu haben, der selbst unter Korruptionsverdacht steht. Darauf wird man in der Ukraine angesprochen.

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Wenn Sie sagen, dass wir bei der Korruption zu lange weggesehen haben, dann würden Sie aber nicht so weit gehen, davon die Militärhilfen für die Ukraine abhängig zu machen.

Nein. Trotzdem müssen wir beim Thema Korruption sehr klar und sehr hart sein. Denn am Ende geht es um das Überleben der ukrainischen Demokratie und auch um unsere eigenen Interessen. Die Gefahr ist groß, dass sich der Krieg auf andere europäische Länder ausweitet. Dabei fand ich bei meinem Besuch aber noch eine andere Debatte spannend.

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Nämlich welche?

Bei uns wird immer darüber diskutiert, ob die Ukraine den Krieg gewinnen müsse oder nur nicht verlieren dürfe. Doch egal, welches Ziel man verfolgt, das Handeln muss immer das Gleiche sein. Denn Putin wird auch dem Minimalziel eines Waffenstillstandes nur zustimmen, wenn seine Armee in der Ukraine nicht mehr weiterkommt. Das heißt: Selbst das Minimum erreicht man nur mit maximalem Einsatz – also einer starken humanitären, militärischen und finanziellen Unterstützung der Ukraine. Insofern sind die Debatten, die wir uns leisten, teilweise ziemlich irre.

Nun finden ja im Moment Gespräche über Sicherheitsgarantien statt. Und aus der Bundesregierung hört man, dass sie lieber keine eigenen Truppen schicken will. Die Grünen ducken sich da weg.

Diese Debatte wird in der Ukraine ebenfalls stark verfolgt – allerdings mit dem Tenor, dass das im Moment zu nichts führe. Denn ohne maximalen Druck auf Putin mit Militärhilfe und Wirtschaftssanktionen werde es ohnehin nicht zu einer Friedenslösung kommen, ja noch nicht einmal zum bereits erwähnten Waffenstillstand. Das ist für die Ukraine eine komplett theoretische Debatte. Und bei den Sanktionen gibt es nach wie vor zu viele Schlupflöcher.

Wie ein Ukraine-Nachbar zu Moskaus Sprachrohr wurde

Bei einem Treffen in der Ukraine beteuern der slowakische Ministerpräsident Robert Fico und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine gute Nachbarschaft, doch die Slowakei bleibt Russland verbunden.

Wo ließe sich bei den Sanktionen aus Ihrer Sicht noch etwas machen?

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Der stellvertretende Außenminister hat mir gesagt, er verstehe nicht, dass es gegen die Nuklearwirtschaft überhaupt keine Sanktionen gibt. Sie sagen zwar: Wir sind keine Atomkraftgegner. Aber wenn wir es geschafft haben, uns da von Russland unabhängig zu machen, dann werdet ihr das doch auch können.

Um aber nochmal auf die Sicherheitsgarantien zurückzukommen: Wenn es wirklich irgendwann zu einem Waffenstillstand kommen sollte, dann brauchen wir natürlich belastbare Sicherheitsgarantien – und zwar unter Beteiligung deutscher Truppen. Aber in der Ukraine sagen sie: Wenn es zu einem belastbaren Waffenstillstand mit Russland kommen sollte, dann nur, wenn Russland bereits zu schwach geworden ist. Und dann wäre es auch zu schwach, etwaige westliche Schutztruppen anzugreifen. Bei uns wird die Debatte vom falschen Ende geführt. Was sich die Ukrainer wirklich langfristig wünschen würden, ist die Mitgliedschaft in der Nato und in der EU.

Aber zumindest die Nato-Mitgliedschaft werden sie nicht kriegen.

Da sind sich die Ukrainer gar nicht so sicher. Denn angesichts der Kampferfahrung und der militärischen Expertise, die die Ukraine inzwischen gesammelt hat, und der Gefahr, die Russland für Europa bedeutet, kann es auch sein, dass die europäischen Staaten irgendwann ein größeres Interesse an der Nato-Mitgliedschaft der Ukraine haben als umgekehrt.

Trotzdem hat man bei uns den Eindruck, die Skepsis gegenüber westlichen Schutztruppen unter deutscher Beteiligung habe auch innenpolitische Gründe. An die Entsendung von Bundeswehr-Soldaten traut sich wegen der zu erwartenden Widerstände niemand ran.

Ja, das würde sofort von der AfD und Russland-nahen Kreisen für Desinformation genutzt. Dann würde es heißen, dass deutsche Soldaten direkt in den Krieg eingreifen sollen, was ja tatsächlich niemand fordert. Umgekehrt ist es aber so, dass uns Russland längst mit hybriden Mitteln angreift – unterstützt von Landesverrätern wie jenen in der AfD. Auch da können wir bei der Abwehr inzwischen mehr von der Ukraine lernen als umgekehrt.

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Gibt es noch eine Lehre aus Ihrem Besuch?

Die Ukrainer freuen sich sehr darüber, dass Friedrich Merz zum Teil klarere Worte zum Krieg findet als Olaf Scholz. Und sie bedanken sich für die klare deutsche Positionierung, auch bei den Grünen. Die Ukrainer wünschen sich zugleich aber ein stärkeres Verständnis dafür, dass Putin für uns ebenfalls eine echte Bedrohung ist und er ein absolutes Interesse daran hat, diesen Krieg fortzusetzen. Und dass wir nicht nur reden, sondern handeln. Sie verstehen zum Beispiel nicht, warum wir in der EU nicht endlich die über 200 Milliarden Euro russisches Vermögen beschlagnahmen. Investmentbanker und Währungsexperten sagen: Das könnten wir einfach machen. Dennoch hat Merz dem wieder eine Absage erteilt. Aber wenn der Kanzler Putin einen der schlimmsten Kriegsverbrecher der Geschichte nennt, dann dürfen wir auch dieses russische Vermögen nehmen.