Lindner schließt Steuererhöhungen aus – Scholz hält an Investitionen fest
Berlin. Finanzminister Christian Lindner schließt auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeshaushalt Steuererhöhungen aus. Die Leitplanken der Bundesregierung blieben unverändert: „Einerseits die Schuldenbremse, bei der wir neue Rechtsklarheit haben, andererseits der Verzicht auf Steuererhöhungen“, betonte der FDP-Chef am Donnerstag im Bundestag. Doch es werde sich etwas ändern: „Wir werden mit weniger Geld wirksamere Politik machen müssen als im vergangenen Jahrzehnt“, sagte Lindner. „Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern wir haben ein Problem damit, schon seit vielen Jahren, Prioritäten zu setzen.“
Lindner betonte, das Urteil könne „Auswirkungen auf die Haushaltspolitik in Bund und Ländern generell haben“. Deshalb werte die Bundesregierung es zur Stunde sorgfältig aus. „Es ist jetzt zu früh, bereits eine Debatte über grundlegende Konsequenzen zu führen“, betonte Lindner.
Das höchste deutsche Gericht hatte eine Umwidmung von Krediten in Höhe von 60 Milliarden Euro im Haushalt von 2021 für nichtig erklärt. Die Kredite waren zur Bewältigung der Corona-Krise genehmigt worden, sollten aber für Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Nun stehen die Milliarden nicht zur Verfügung. Offen ist, ob das Urteil darüber hinaus weitreichende Folgen für den Umgang mit schuldenfinanzierten Sondervermögen in Bund und Ländern haben könnte. Das könnte zum Beispiel den Wirtschaftsstabilisierungsfonds betreffen.
Habeck: „Muss dann eben anders gehen“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will jedoch weiter an der von ihm geplanten Förderung für den klimafreundlichen Umbau der deutschen Industrie festhalten. „Ja, okay, das Urteil des Verfassungsgerichtes sagt ,So geht es nicht, wie ihr es euch gedacht habt‘. Aber es muss dann eben anders gehen“, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag in Berlin.
„Es kann nicht so sein, dass wir sagen ‚Dann machen wir es eben nicht‘. Jedenfalls ich bin nicht bereit, das zu akzeptieren und das einfach so hinzunehmen, dass dann diese Arbeitsplätze jetzt unter Druck geraten oder aus Deutschland verschwinden“, erklärte Habeck. „Also müssen wir das Geld an anderer Stelle finden beziehungsweise aufbringen.“
Vorgehen sei verfassungswidrig: Ampel-Klimarücklage von 2021 wird gekippt
Das Urteil bedeute nicht, wie teils dargestellt, dass nun 60 Milliarden Euro für den Klimaschutz fehlten, sagte Habeck. Das sei „nur in einem ganz kleinen Teil“ die Konsequenz. Denn nun fehle der deutschen Industrie eine große Summe, um die Umstellung zu bewältigen. Es gehe unter anderem darum, die energieintensive Stahlproduktion sowie die chemische Industrie klimafreundlich zu machen und Solartechnologien zu fördern.
„Natürlich gehen die CO2-Emissionen auch runter, wenn diese Industrien aus Deutschland und Europa verschwinden“, sagte Habeck. „Aber das kann ja nicht der Sinn von Politik sein. Das wäre ja geradezu zynisch, wenn man Klimaschutz mit der Vernichtung von Industrie gleichsetzt.“ Es gehe darum, das Wohlstandsversprechen für Deutschland zu erneuern durch den klimafreundlichen Umbau der Industrie. „Und insofern ist die Konsequenz des Urteils erst einmal ein verschärftes Nachdenken, wie wir dieses Versprechen einhalten können.“
„Das wäre ja geradezu zynisch, wenn man Klimaschutz mit der Vernichtung von Industrie gleichsetzt.“
Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister
Habeck sagte, es seien mehrere sogenannte Klimaschutzverträge ausgehandelt worden mit der Brüsseler EU-Kommission, die Staatsbeihilfen genehmigen muss. Der Minister nannte in diesem Zusammenhang die Papierindustrie, die Keramikindustrie, die Glas-, Stahl- und Aluminiumindustrie sowie den Wasserstoff-Hochlauf. Bei Klimaschutzverträgen sichert der Staat hohe Anfangsinvestitionen für die Umstellung auf klimafreundlichere Produktionsweisen ab.
Es gehe bei dieser Transformation auch um viele Arbeitsplätze, so Habeck. Der Klima- und Transformationsfonds sei die Antwort gewesen auf das US-amerikanische Inflationsbekämpfungsgesetz, mit dem die dortige Regierung milliardenschwere Investitionen in klimafreundliche Technologien fördert.
Scholz: Investitionen auch nach dem Haushaltsurteil von Karlsruhe
Auch Olaf Scholz will trotz des Haushaltsurteils des Bundesverfassungsgerichts an den Investitionsvorhaben der Bundesregierung festhalten. „Dass wir eine Rekordquote bei Investitionen erreichen, das wird in jedem Fall gewährleistet sein“, sagte Scholz am Donnerstag in Berlin beim Handelskongress Deutschland. „Wir werden das auch sicherstellen. Es ist für die Funktionsfähigkeit unserer Volkswirtschaft von größter Bedeutung.“ Scholz nannte insbesondere Investitionen in die Infrastruktur Deutschlands.
Unterdessen hat Unionsfraktionschef Friedrich Merz in der Aktuellen Stunde im Bundestag neue Prioritäten im Bundeshaushalt gefordert. „Kehren Sie mit Ihren Verhaltensweisen sowohl zu verfassungskonformer Gesetzgebung zurück“, sagte Merz am Donnerstag im Bundestag an die Ampel-Koalition gerichtet. Auch müssten SPD, Grüne und FDP die Mindestregeln eines vernünftigen parlamentarischen Miteinanders wieder einhalten.
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Zur vollständigen AnsichtMerz warf den Regierungsfraktionen vor, sich im Bundestag über alle Regeln – „und jetzt auch über die Regeln der Schuldenbremse des Grundgesetzes“ – einfach so hinwegzusetzen. „Sie wischen alle Einwände, die gegen ihre Politik vorgetragen werden, einfach zur Seite“, beklagte er. Das gehe weiter, auch nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Milliarden-Umschichtung im Haushalt für verfassungswidrig erklärt habe.
Merz kritisierte, die Haushaltsverhandlungen würden fortgesetzt, als habe es diese Entscheidung nicht gegeben. Dabei sei schon jetzt klar, dass es im kommenden Jahr einen Nachtragshaushalt geben müsse, um Verpflichtungen aus dem Sondervermögen für Klimaschutz-Ausgaben in den regulären Haushalt zu übertragen. „Wer aber schon vor der Verabschiedung eines regulären Haushaltes weiß, dass er einen Nachtragshaushalt beraten und verabschieden muss, der verstößt erneut gegen die Grundsätze der Haushaltswahrheit und der Haushaltsklarheit.“
Matthias Middelberg, Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hält das Problem für ein grundlegendes in der Ampelkoalition. „Sie haben gesagt: Die SPD kriegt viel Geld für Soziales, die Grünen kriegen viel Geld für Klima und die FDP kriegt zwei Zusagen, nämlich es gibt keine Steuererhöhungen und die Schuldenbremse wird eingehalten. Und dann haben sie gemerkt: Oh, wir haben nicht genug Geld.“ Er sagte, dass seiner Auffassung nach der „Wirtschaftsstabilisierungsfonds, dieser Super-Doppelwumms mit 200 Milliarden genauso von diesem Urteil des Verfassungsgerichts infiziert“ sei und bezeichnete es als „komplett verantwortungslos“, weiterhin planmäßig über den Haushalt für das Jahr 2024 zu verhandeln.
SPD-Fraktionsvize Achim Post erklärte, die Bundesregierung werde die Folgen des Urteils nun genau prüfen. Der Bundeshaushalt für 2024 solle trotzdem im Zeitplan verabschiedet werden und solle „auch weiterhin starke Investitionen in die Innere und äußere Sicherheit“ sowie den sozialen Zusammenhalt vorsehen. Es sei klar, dass weiterhin erhebliche Finanzmittel für den Klimaschutz nötig seien. Post verwies auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021. Das besagt, das Klimagesetz verschiebe „hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.“ Und: Zur Wahrung grundrechtlich gesicherter Freiheit müsse der Gesetzgeber Vorkehrungen treffen, „um diese hohen Lasten abzumildern“. Klimaschutz und sozialer Zusammenhalt dürften nicht die Verlierer sein, betonte Post.
RND/dpa/she