Finanziert aus russischem Vermögen

Ungarns Veto ausgehebelt: Von der Leyen verkündet 35-Milliarden-Euro-Kredit für die Ukraine

Ursula von der Leyen (CDU), Präsidentin der Europäischen Kommission, kommt am Hauptbahnhof von Kiew an.

Brüssel. An der Mauer des St. Michaelsklosters legte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu Beginn ihres Besuchs in der ukrainischen Hauptstadt Kiew einen Blumenstrauß nieder. Dutzende Fotos von verstorbener Soldaten erinnern an dieser Wand der Erinnerung an diejenigen, die für die Ukraine im Krieg ihr Leben gelassen haben. „Sie sind wahre Helden, die für die Sicherheit unseres gesamten Kontinents das höchste Opfer gebracht haben“, so die EU-Chefin später. „Wir werden die Erinnerung an sie in unseren Herzen und Köpfen bewahren.“

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Bei ihrem Besuch in Kiew stellte die EU-Chefin einen Plan vor, um den 50-Milliarden-Dollar-Kredit der EU und G7-Staaten für die Ukraine umzusetzen. Bis zu 35 Milliarden Euro will nun die EU bereitstellen, wie von der Leyen bekannt gab. „Die Ukraine muss den Staat und die Wirtschaft am Laufen halten und sich gleichzeitig gegen die Angriffe wehren“, erklärte sie. Finanziert werden soll der Kredit über die Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen der russischen Zentralbank. Diese belaufen sich EU-Diplomaten zufolge auf 2 bis 4 Milliarden Euro pro Jahr. Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten im Rat müssen dem Entwurf für den Kredit noch zustimmen.

EU-Kredit fließt direkt in den Haushalt der Ukraine

Die 35 Milliarden Euro will von der Leyen der Ukraine „sehr schnell“ zukommen lassen. Der Kredit werde direkt in den ukrainischen Haushalt fließen. „Du entscheidest, wie du die Mittel verwendest“, sagte sie zu Selenskyj in Kiew. Er könne damit auch Gelder freimachen, um mehr für das Militär ausgeben zu können. Selenskyj erklärte, einen Teil für die Energieversorgung, Luftverteidigung und die ukrainische Rüstungsindustrie verwenden zu wollen. EU-Diplomaten zufolge wird mit einer Auszahlung der ersten Tranche frühestens Ende des Jahres gerechnet.

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Um die Erträge aus eingefrorenem Vermögen der russischen Zentralbank für die Ukraine nutzen zu können, wollte Brüssel den Sanktionstext ändern. Dass die Devisen und Wertpapiere eingefroren bleiben, muss derzeit einstimmig alle sechs Monate von den Mitgliedstaaten beschlossen werden. Einem längeren Zeitraum wollte die ungarische Regierung des Rechtspopulisten Viktor Orban bisher nicht zustimmen, jedenfalls nicht vor der US-Wahl im November. EU-Diplomaten sehen darin die Hoffnung Orbans, dass Donald Trump die Wahl gewinnt und als einen der ersten Schritte die Ukrainehilfe zurückfahren wird. Der Kredit von G7 und EU, so kalkuliere Ungarn, falle dann ein wie ein Kartenhaus.

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Um Ungarns Veto zu entgehen, ist für den 35-Milliarden-Euro-Kredit nun keine Einstimmigkeit mehr notwendig. Es genügt eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten, also die Zustimmung von mindestens 15 Ländern, die zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen.

Trotzdem steigt der Druck auf Orban, doch noch einem längeren Einfrieren des russischen Vermögens zuzustimmen. Auf dem Tisch liegt seit Freitag der Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell, dass die Verlängerung der eingefrorenen russischen Vermögen nicht mehr alle sechs Monate, sondern alle 36 Monate nötig ist. Orban könnte also nicht mehr so häufig sein Veto einlegen. Für diesen Vorschlag ist allerdings Einstimmigkeit notwendig.

Außerdem sprach von der Leyen mit dem ukrainischen Präsidenten über die Vorbereitungen der EU, die Ukraine in den Wintermonaten bei der Reparatur von Kraftwerken, zusätzlichen Generatoren und Strom aus der EU zu versorgen. „Natürlich ist die Energiefrage eine dringende Priorität“, sagte Selenskyj. Er erörterte mit von der Leyen auch die Lage an der Front, Waffenlieferungen, gemeinsame Rüstungsprojekte und den Weg seines Landes zum EU-Beitritt. Derzeit ist die Ukraine Beitrittskandidat, die Beitrittsverhandlungen haben im Juni offiziell begonnen. Selenskyj kündigte an, man werde nun die Verhandlungen beschleunigen und habe einen Zeitplan für die nächsten Schritte und einen EU-Ukraine-Gipfel erarbeitet.

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EU-Verteidigungspolitiker Tobias Cremer (SPD) sieht von der Leyens Besuch als wichtiges Zeichen in einem Moment, in dem die Ukraine auch auf diplomatischem Wege nach Frieden strebe. „Putin aber hofft durch die systematische Zerstörung ziviler Infrastruktur vor dem Winter und angesichts der anstehenden US-Wahlen die Moral der Ukrainer und ihrer westlichen Verbündeten zu unterminieren“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Wir müssen Putin klarmachen, dass dieser Plan nicht aufgehen wird und dass er diesen Krieg nicht gewinnen wird.“

Es ist der achte Besuch der EU-Chefin in der ukrainischen Hauptstadt. Sie sprach dort unter anderem mit Feuerwehrleuten, die bei einem russischen Bombeneinschlag Flammen löschen und verschüttete Personen bergen. „Wir unterstützen sie mit Stromgeneratoren und Notfallausrüstung“, so von der Leyen. Vor Ort traf sie auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des EU-Katastrophenschutzzentrums, die Hilfsgüter aus allen Mitgliedstaaten in die Ukraine bringen.